Paramilitärs, Obdachlose und die Exekutionskultur in Medellin

Faschisierung Kolumbiens

"Die Sicherheitslage in Kolumbien hat sich in den letzten fünf Jahren erheblich verbessert.”, vermeldete vor einiger Zeit das Auswärtige Amt. Kein Grund das Land mit einer rosaroten Brille zu bereisen, wie der Filmemacher, Politikwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Dario Azzelini findet. Seinen Besuch der zweitgrößten Stadt Kolumbiens hält er für uns in einem kurzen Bericht fest.

Medellin ist im Zentrum schön herausgeputzt und viel sauberer und ordentlicher als Caracas – eine Stadt in der ich mich häufiger aufhalte. Dafür aber gibt es pro Häuserblock fünf Obdachlose. Panzer die 24 Stunden fest an Straßen stationiert sind und überall private Wachleute, alles ehemalige Paramilitärs.
Die Armenstadtteile sind meist von Paramilitärs kontrolliert. Sie treten als Banden oder sogar als offizielle Sicherheitsunternehmen auf und kontrollieren zudem den Drogenhandel sowie das Geschäft mit den “Schutzgeldern” (Geschäfte und vor allem Nahverkehr zahlen dafür, dass sie nicht von den Paramilitärs angegriffen oder erschossen werden).
Da sich die Paramilitärs seit der Auslieferung ihres obersten Chefs Don Berna an die USA nicht einigen können, gibt es nun ständig bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Fraktionen. Was sie aber insgesamt nicht daran hindert, die Unterstützung der Polizei und der öffentlichen Politik zu genießen.
In der Innenstadt machte ich dann auch gleich eine heftige Erfahrung: Fünf (Ex-)Paramilitärs des Wachdienstes CONVIVIR (zu Deutsch: Zusammenleben!!!) erwischten einen Odachlosen, der kurz vorher einen Mann nach dem Geld abheben am Bankautomanten überfallen hatte und traten auf ihn ein. Untereinander beredeten sie, den Obdachlosen “mitzunehmen”. Übersetzt heißt das: sie fahren ihn an den Stadtrand oder in ein Armenviertel und erschießen ihn.
Mit der Menschenrechtsanwältin, mit der ich unterwegs war, stellten wir uns dazwischen, während sie Polizei und Staatsanwaltschaft anrief. Das ist zwar auch keine definitive Garantie, dass er nicht ermordet wird, aber in der Situation die einzige Alternative zu den Ex-Paramilitärs. Von der Menschentraube, die sich gebildet hatte, unterstützten uns zwei junge Männer.
Die restlichen 20 Gaffer und Gafferinnen riefen, man solle den Mann umbringen, einige riefen sogar, die Ex-Paramilitärs sollten die Menschenrechtsanwältin, die sich gar nicht als solche zu erkennen gegeben hatte, sondern nur forderte den Obdachlosen der Polizei zu übergeben, auch gleich “mitnehmen”.
Das ist das, was ich während meiner Lehrveranstaltungen und in meinen Veröffentlichungen zu Kolumbien in den vergangenen Jahren als Faschisierung der Gesellschaft (vor allem der Mittelschichten) beschreibe. Interessant, wenn vor diesem Hintergrund die Hauptsorge der EU (auch Deutschlands und selbst vieler angeblicher Linker) und der USA der angeblich gefährdeten Demokratie in Venezuela gilt.

Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Texts war in der vergangenen Woche in Medellin, Kolumbien, um dort zwei Lehrveranstaltungen zu “Privatisierung des Krieges in Kolumbien” und zwei Seminare zu “Sozialer und politischer Kontext Kolumbiens: Geopolitik und Geoökonomie des bewaffneten Konflikts” an der Universität von Antioquia abzuhalten.


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