Selbstständig Beschäftigte in Berlin

Die selbstständige Arbeit: hard skills, soft skills, Netzwerke, reale Autonomie und Interessensvertretung

Hard skills versus soft skills
Die Verschiebung des Verhältnisses zwischen streng beruflich-technischen skills und den sozialen und kommunikativen skills ist eine der augenscheinlichsten Veränderungen der Arbeit. ”Arbeit verstanden als Kommunikation zwischen Leuten, als Gespräche zwischen Menschen, ist schon der entscheidende Arbeitsprozeß.”[1] So messen die Befragten fast aller Beschäfigungen – ausser einer nur formal selbstständigen – den sozialen Kompetenzen eine hohe Bedeutung zu. 85% sind der Ansicht, dass sich ihre Arbeit nicht ohne ausüben ließe: ”Der kommunikative Aspekt ist der wichtigste Aspekt meiner Arbeit ... ich glaube in fast jeder Arbeit, aber in meiner Arbeit ist der Aspekt absolut wichtig, um überhaupt arbeiten zu können.”[2] Nahezu zwei Drittel haben sogar Schwierigkeiten in der eigenen Tätigkeit eine klare Trennung von hard und soft skills vorzunehmen. 38% der bezeichnen die kommunikativen Kompetenzen sogar als bedeutender als die technischen. Die sozialen Kontakte verwandeln sich in soziales Kapital der Selbstständigen, die Unternehmer ihrer selbst sind: ”Ich würde sagen das Verhältnis Kontakte und berufliche Qualifikationen ist 50/50... wenn ich einen neuen Job suchen müsste, wären die Kontakte die Hälfte meines Kapitals. Für die Arbeit an sich sind sie auch entscheidend, die Arbeit die ich mache lebt davon.”[3]

Niedrig wie hoch qualifizierte Tätigkeiten erfordern auch zunehmend Planungskompetenzen, in komplexen Prozessen verschiedene Aufgaben zu übernehmen und stark kommunizierend in der Gruppe zu arbeiten: ”Ein Großteil der Arbeit besteht aus Koordinierung, endlosen Treffen und Diskussionen... letztlich kann man von allen die dort arbeiten sagen, daß sie keine Einzelgenies sind. Das wir gut zusammenarbeiten ist die erste Voraussetzung für den Erfolg.”[4]

Mit der Zunahmen der Bedeutung der soft skills verringert sich das Gewicht formaler Bescheinigungen, da die soft skills kaum Teil der Ausbildung sind und schlecht bescheinigt werden können. Die Akkreditierung beruflicher Kompetenzen erfolgt eher informell. Die wichtigste Rolle spielen persönliche Referenzen und Bescheinigungen ehemaliger Auftraggeber. Bescheinigungen werden aber nicht völlig unbedeutend, es besteht vor allem ein geschlechtsspezifischer Unterschied: Während die Mehrheit der Männer berichtet Kunden würden Bescheinigungen kaum Bedeutung beimessen, geht die Mehrheit der Frauen davon aus, dass die Einführung neuer Bescheinigungen für sie von Vorteil wäre. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass der Arbeitsmarkt nach wie vor patriarchal strukturiert ist und Frauen einen höheren Bedarf an Bescheinigungen haben.

Soziale Netzwerke – Bedeutung und Funktionsweise
Die Beziehungsnetze der Interviewten spielen eine zentrale Rolle. Die aktuelle Beschäftigung betreffend geben 90% an sie mittels ihrer sozialen Netze gefunden bzw. aufgebaut zu haben, für drei Viertel war dies gar der einzig mögliche Zugang: ”In beide Jobs bin ich in gewisser Weise über Bekannte reingekommen. In den administrativen Job mittels einer Bekannten, die vorher mit mir gearbeitet hat, wechselte und mich vorschlug. Und die Dozentenstelle wurde unter der Hand in informellen Kreisen von Projekten und Initiativen bekannt gegeben.”[5]

Nur drei haben eine direkte Unterstützung von ihrer Familie erhalten. Fast nur MigrantInnen greifen auf familiäre und ethnische Netzwerke zurück, häufig auch weil sie aus anderen Netzwerken ausgeschlossen bleiben. Institutionelle Förderungen spielten sogar eine noch marginalere Rolle. Viele haben ihre Tätigkeit langsam mittels cash flow begonnen oder von Freunden Geld geliehen. Lediglich die traditionellen FreiberuflerInnen und Händler haben eine höhere ökonomische Unterstützung erhalten. Im Falle der Deutschen von Finanzinstituten, im Falle der Migranten von Familienangehörigen.

Die Ausdehnung der sozialen Netzwerke bietet die Möglichkeit die Lebenshaltungskosten mittels einer nicht-monetären oder Schatten-Ökonomie zu senken und Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. Viele der Befragten beschreiben wie sie auf eine Tauschökonomie von Waren und vor allem Dienstleistungen zurückgreifen. Und es sind ebenfalls die dichten und ausgedehnten sozialen Netze, die es vielen der Befragten – die ”multiaktive Arbeitsnomaden” sind – von Mal zu Mal ermöglichen Aufträge zu erhalten: ”Das beste ist nachts weggehen um die Kontakte zu knüpfen, die du am Tage brauchst.”[6] Für nahezu alle sind die Netzwerke auch innerhalb ihrer Tätigkeit von grundlegender Bedeutung.

Die Vielzahl der Kontakte und Dichte der Netze erweist sich häufig als durchaus problematisch. Viele beschreiben wie sie zunehmend Schwierigkeiten haben die privaten und beruflichen Netzwerke zu trennen oder wie die berufliche Nutzung persönlicher Netze die Gefahr eines instrumentellen Verhältnisses und der Verschlechterung der sozialen Beziehungen in sich birgt.

Die reale Autonomie
Die Autonomie bezüglich der Arbeitszeiten und Arbeitsrhythmen stellt eine der zentralen Motivationen für die Entscheidung zur Selbstständigkeit dar. Und in der Tat ist sie für die meisten auch relativ groß: ”Ich habe die volle Entscheidungsgewalt darüber wie und wann ich arbeite. Ich lege einen Termin fest wann ich die Arbeit abgebe, aber wann ich anfange und aufhöre zu arbeiten ist absolut meine Sache.”[7]

Die Hälfte verfügt in dieser Hinsicht über eine totale oder sehr große Autonomie, was aber nicht ganz problemlos ist, wie ein Befragter anmerkt: ”Mein Entscheidungsspielraum bezüglich der Arbeitszeiten ist relativ groß. Ich weiß aber nicht, ob das ein Vorteil ist, weil das zur Folge hat, daß das Wochenende oft nicht stattfindet, sondern eben auch Sonntags Morgen oder Samstags Nacht Sachen bearbeitet werden, die während der traditionellen Arbeitszeit von Montag bis Freitag, einfach nicht zu schaffen sind. Wobei das auch eine Qualität hat, weil man sich zumindest theoretisch leisten kann auch mal Mittwoch Vormittag privat zu nutzen.”[8]

Etwas mehr als ein Drittel verfügt über eine partielle Autonomie. Sie entscheiden, in Absprache mit anderen oder marktbedingt, relativ frei über ihre Arbeitszeiten. Nur in zwei Fällen völlig untergeordneter Tätigkeiten ist alles vorgegeben. Letztlich ist es jedoch meist der ökonomische Druck, der Arbeitszeiten und Arbeitsdauer bestimmt.

Ein deutlich niedrigerer Grad an Autonomie zeigt sich respektive der Entscheidungsfreiheit bezüglich der Definition der zu bewältigenden Aufgabe. Für die Mehrheit ist sie bereits definiert, etwas weniger als die Hälfte sind an der Entscheidung beteiligt, zwei Drittel gemeinsam mit anderen (sei es der Auftraggeber oder eine Arbeitsgruppe) und ein Drittel alleine.

Viele derjenigen, die gezwungen sind immer alleine zu arbeiten und zu entscheiden, würden es vorziehen in einer Gruppe zu arbeiten oder sich zumindest mit anderen austauschen zu können. Die Hälfte arbeitet gemeinsam mit anderen und die Mehrheit der Befragten erklärt die Kontakte und die Kommunikation als grundlegende Vorteile der Arbeit, auf die sie nicht verzichten wollen würden. Gruppenarbeit hat einen sehr hohen Stellenwert: ”Es gäbe die Möglichkeit allein zu entscheiden aber ich habe in meinem Berufsleben die Erfahrung gemacht, daß Teamarbeit funktionieren kann und das es für mich immer erstrebenswert ist, gemeinsame Entscheidungen zu treffen.”[9]

Verschiedene Interviewte weisen jedoch darauf hin, das es ihnen, vom Standpunkt der Arbeitsautonomie, schwer fällt, eine klare Unterscheidung zwischen abhängiger und selbstständiger Beschäftigung zu treffen. Die Frage für sie ist also nicht notwendigerweise ob es sich um eine abhängige oder selbstständige Beschäftigung handelt, sondern die reelle Unabhängigkeit innerhalb der Tätigkeit.

Traditionelle Interessensvertretungen
Das Misstrauen gegenüber den traditionellen Interessensvertretungen ist sehr groß. Nur vier sind in Kammern oder Berufsgenossenschaften eingeschrieben, drei davon sind Pflichtmitgliedschaften. Die meisten sehen diese Institutionen als bürokratische Gebilde und haben nichts mit ihnen zu tun, die Mehrheit bewusst, die anderen sind schlicht desinteressiert. So gut wie niemand sieht sich durch sie vertreten und wer konkrete Erfahrungen gemacht hat, bezeichnet die Kammern und Verbände als Vertretungen der Arbeitgeber. Im Bereich des Handwerks werden die Kammern und Verbände als korporative Interessensvertretungen der Deutschen beschreiben. Einige der Zwangsmitglieder der Industrie- und Handelskammer verweigern sogar die Zahlung der Pflichtbeiträge.

Der Mehrheit der Befragten haben ein ausgeprägtes Interesse an Problemen der Gesellschaft und Arbeitswelt uns verspüren das Bedürfnis nach einer Interessensvertretung, sehen allerdings die Gewerkschaften als veraltet und rigide in ihren Positionen an, da ihre Politik weiterhin vom ”Normalarbeitsverhältnis” ausgeht: ”Wenn man sich anschaut wieviel die Leute in den Agenturen oder kleinen Softwarehäusern arbeiten und vergleichsweise wenig Geld dafür bekommen, dann wäre eine Vertretung schon sinnvoll. Das Problem ist nur, wenn das eine Gewerkschaft tun würde, dann würde sie sicher das Falsche tun. Sie würde als erstes darauf bestehen, daß alle nur noch 40 Stunden arbeiten und das ist genau das was sie nicht wollen. Sie wollen lieber die 60 Stunden gutgeschrieben bekommen, so daß sie irgendwann mal sechs Monate oder ein Jahr nicht arbeiten müssen.”[10]

Im allgemeinen wünschen sich die meisten mehr Druck und politische Aktivitäten von den Gewerkschaften: ”Ich stehe der traditionellen Form wie Gewerkschaften heute sind kritisch gegenüber, weil sie schon lange in die Macht eingebunden sind.”[11] Der Großteil der MedienarbeiterInnen ist dennoch in die IG Medien eingeschrieben: ”Ich bin in der Gewerkschaft, weil ich es irgendwie aus nostalgischen Gründen gut finde. Aber das wäre wohl nicht so, wenn ich mehr damit zu tun hätte, die Gewerkschaft vertritt so etwas wie die >Arbeiteraristokratie< und es fehlt das Bewußtsein, daß sie sich ändern muß.”[12]

Neue Organisationsformen
Alle Befragten, bis auf zwei, äußern das Bedürfnis nach einer neuen Organisationsform oder Interessensvertretung, die die Interessen der Selbstständigen vertritt. Interessant ist aber das die meisten das allgemein propagierte Bild des Selbstständigen als Hyperindividualisten internalisiert haben und trotz eigener Bereitschaft, Zweifel daran äußern, ob Selbstständige organisierbar sind. ”Das ist ein wenig die Quadratur des Kreises ... zu erwarten, daß mit so einem Hintergrund auf dem man so eine Tätigkeit selbst gewählt hat, aktivieren kann, daß sich eine formalisierte Interessenvertretung bildet. Es wäre wünschenswert und wichtig, aber ich bin skeptisch das stark individualistisch arbeitende Menschen genügend Engagement entwickeln so etwas zu institutionalisieren.”[13]

Generell werden einer möglichen neuen Form von Organisierung folgende Aufgaben zugeschrieben: Selbstorganisierung fördern, Mindestlöhne durchsetzen, für soziale Sicherheiten und Zahlungsgarantien kämpfen, die Arbeitsbedingungen kontrollieren Rechtsberatung und Qualifikationsmaßnahmen organisieren.

Die meisten Befragten stellen sich eine Mischform zwischen Dienstleistungsangebot und gesellschaftlicher Organisierung vor: ”Es wäre gut eine Beratungsstelle zu haben, weil man sonst sehr teure professionelle Angebote zurückgreifen muß, da es keine Stelle gibt, wo man die Fragen berät, die sich Selbstständigen auf einem niedrigen level stellen: Krankenversicherung, Steuer, ökonomische Kalkulation, Pleite ohne Rücklagen etc. Ich fände es interessant das als politisch organisierenden Ansatz zu nehmen und sich auch andere Aspekte anzusehen wie die Situation von Frauen und Müttern die selbstständig arbeiten, man müßte verschiedene soziale Situationen darüber gemeinsam politisieren.”[14]

Dabei scheinen den Befragten bereits existierende informelle Organisationsformen effektiver als die Gewerkschaften. Daher herrscht auch Einigkeit darüber, dass eine neue Organisationsform sich deutlich von diesen unterscheiden muß. Als wichtigste Charakteristiken werden dabei die Selbstorganisierung von Unten, die Bildung kleiner Gruppen, der gegenseitige Austausch die gegenseitige Unterstützung.

[1] Thomas G., 43 Jahre, Computergrafiker, Jahresnettoeinkommen 20.000 DM
[2] Sonia V., 36 Jahre, Kulturschaffende u. TV-Autorin, Jahresnettoeinkommen 18.000 DM
[3] Richard F., 36 Jahre, Journalist, Jahresnettoeinkommen 30.000 DM
[4] Uwe B., 28 Jahre, Programmierer, Nettojahreseinkommen 50.000 DM
[5] Michael S., 35 Jahre, Sozialforscher und Dozent, Jahresnettoeinkommen 20.000 DM
[6] Thorsten F., 34 Jahre, Multimediakünstler und Internetanwender, Jahresnettoeinkommen 35.000 DM
[7] Oleg P., 35 Jahre, Restaurator, Jahresnettoeinkommen 35.000 DM
[8] Walter Z., 38 Jahre, Journalist, Seminarorganisation und -begleitung, Jahresnettoeinkommen 35.000
[9] Walter Z., 38 Jahre, Journalist, Seminarorganisation und -begleitung, Jahresnettoeinkommen 35.000
[10] Günther K., 44 Jahre, Informatiker, Jahresnettoeinkommen 50.-100.000 DM
[11] Stefan W., 35 Jahre, Kleinhandwerker, Jahresnettoeinkommen 35.000 DM
[12] Rebekka H., 32 Jahre, Dozentin und Journalistin, Jahresnettoeinkommen 25.000 DM
[13] Walter Z., 38 Jahre, Journalist, Seminarorganisation und -begleitung, Jahresnettoeinkommen 35.000
[14] Rebekka H., 32 Jahre, Dozentin und Journalistin, Jahresnettoeinkommen 25.000 DM


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