Ein Dokumentarfilm aus Venezuela hat in Berlin Premiere

Fünf Fabriken für den Sozialismus

Zufriedene Arbeiterinnen und Arbeiter, die vor ihren Maschinen stehen und von den Vorzügen des Sozialismus für das 21. Jahrhundert reden: Was für die mitteleuropäische Gegenwart vollkommen unvorstellbar ist, gibt es jetzt im Film. Und es handelt sich nicht um Science-Fiction. Für ihren zweiten Dokfilm über die politischen und sozialen Veränderungen seit dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez 1999 in Venezuela haben Dario Azzellini und Oliver Ressler fünf Fabriken besucht. Ging es in »Venezuela von unten« (2004) um verschiedene Basisbewegungen, die den »Bolivarischen Prozeß« ausmachen, richtet sich der Fokus diesmal allein auf den industriellen Sektor. Zwischen postkartenreifen Motiven von Kakaobohnen oder Bindfäden in Industrieanlagen haben die Filmemacher Protagonisten postiert, die Einblicke in die genossenschaftlichen Organisationsweisen vermitteln. »Die Versammlung«, sagt Rigoberto López von der Textilfabrik in San Cristóbal, »ist praktisch der Chef des Unternehmens«. Daß die Mechanismen und Schwierigkeiten der Selbstverwaltung ebenso selbstverständlich geschildert werden wie die profanen Abläufe der Produktion – hierbei wiederum fühlt man sich an Infofernsehen wie die »Sendung mit der Maus« erinnert –, macht den inhärenten Reiz der Erzählungen aus. Von den Beschäftigten erkämpft, von der Regierung meist finanziell unterstützt, gibt es in Venezuela immer mehr Formen der Mit- oder gar Selbstverwaltung. Dabei stehen nicht nur die konkreten Verbesserungen für die Arbeiter im Vordergrund. Aury Arocha, Laborantin der Ketchupfabrik »Tomates Guárico«, erklärt den Unterschied zu kapitalistischen Unternehmen: Die Kooperativen »arbeiten für die Gemeinschaft, im Sinne der Gesellschaft«. Carlos Lanz von der Aluminiumfabrik Alcasa formuliert die entsprechende Schlüsselfrage: »Wie macht ein Unternehmen im Rahmen des Kapitalismus Druck in Richtung Sozialismus?« Ohne weitere Hinweise – etwa auf ihre Repräsentativität – läßt der Film die Akteurinnen und Akteure sprechen. Daß hier ganz normale Arbeiter neben geschulten Kadern über ein gesamtgesellschaftliches Projekt reden, ist keinesfalls als Rückfall in Proletkult-Zeiten zu verstehen. Vielmehr wird damit in Erinnerung gerufen, daß auch im postindustriellen Zeitalter antikapitalistische Organisierung möglich ist. Mit den Mitteln des Berkeley Art Museum haben die Filmemacher ein weiteres einnehmendes Porträt einer faszinierenden Bewegung entstehen lassen.