Interview mit Francesco Raparelli

Genua in Florenz?

In Florenz gibt es keine rote Zone, dennoch bemüht sich die italienische Regierung wieder, das Europäische Sozialforum, das dort vom 7. bis 10.November stattfinden soll, nach Kräften schon im Vorfeld zu kriminalisieren. Das nachstehende Interview führte Dario Azzellini.

Wie ist der Stand zum ESF?

Mitte Oktober sind die Gespräche zwischen der Vorbereitungsgruppe des ESF, den Regierungsinstitutionen und der Präfektur abgebrochen worden, weil die Regierung gedroht hat, das Schengener Abkommen aufzuheben. Diese Drohung besteht weiterhin. Begründet wird sie mit der angeblichen Anreise von "gewalttätigen Extremisten" aus dem Ausland. Das Innenministerium streut laufend Meldungen von vermeintlichen "5000—6000 Black Block", die aus dem europäischen Ausland kämen. Sie stellten nicht nur eine Gefährdung der Stadt dar, sondern auch des ESF.

Innenminister Giuseppe Pisanu hat am Dienstag in einer Rede vor dem Parlament bestätigt, dass es, gemäß §2 des Schengener Abkommens, "aus Gründen der öffentlichen Ordnung strenge Kontrollen" an den Grenzen geben soll. Was bedeutet das und wie wird die Bewegung darauf reagieren?


Das ESF hat auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass alle Parlamentarier, die dem Forum schon immer nahe standen, also die von Rifondazione Comunista und den Grünen, in den fraglichen Tagen an den Grenzen anwesend sein werden, um zu sehen, was wirklich geschieht. Ich denke, die Kontrollen an den Grenzen werden sehr hart sein, aber da die Abgeordneten und die Bewegungen auch an den Grenzen sein werden, werden dies Orte des Konflikts sein.

Pisanu hat auch erklärt, die Stadt Florenz sei "nicht geeignet für das ESF", was steckt hinter dieser Aussage?

Man muss sie im Zusammenhang mit seinen anderen Erklärungen zu Black Block und Gewalt sehen: Pisanu geht es um einen Bruch innerhalb des Forums. Er teilt das Forum in Moderate und Radikale, die Besetzungen von Banken und Aktionen in der Stadt vorhaben — das sind die Ungehorsamen, die deshalb innerhalb des Forums und in der Stadt ein Risiko darstellen, für die öffentliche Ordnung und für die Stadt.

Nach diesen Aussagen Pisanus hat die Regierung erklärt, das ESF solle nicht mehr stattfinden, zumindest nicht mehr in Florenz. Das wurde gleich von der Presse aufgegriffen. Italiens größte Tageszeitung, Corriere della sera, titelte gleich: "Rettet Florenz" und forderte, das ESF aus Florenz fernzuhalten.

Innerhalb der Linksdemokraten (DS) verschärft dies die Spaltung und den Konflikt um das ESF. Die starke Strömung Correntone innerhalb der DS setzt in Zusammenarbeit mit dem Gewerkschaftsdachverband CGIL und dem Europäischen Gewerkschaftsbund klar auf das Forum. Die Strömung um den früheren Vorsitzenden Massimo D‘Alema hingegen will am liebsten gar kein Forum und hat diese Position vor einigen Wochen im Vorstand durchgeboxt. Leonardo Domenici, der DS-Bürgermeister von Florenz, betont weiterhin, Florenz sei eine "offene Stadt", man müsse sehen, "wie das Forum durchgeführt werden kann". Das zielt darauf ab, die linkeren Komponenten der Bewegung aus dem Forum herauszuspalten.

Wie haben die linken Kräfte der Bewegung reagiert?


Es gab eine Pressekonferenz, bei der Disobbedienti, die Basisgewerkschaften Cobas und andere verkündet haben, die Breite der Bewegung umfasse die moderaten wie die radikalen Teile, das sei ihre Matrix und das werde auch so bleiben.

Letzte Woche haben die Organisatoren des ESF versucht, das Gespräch mit den Institutionen wieder aufzunehmen. Überschattet wurde der Versuch davon, dass die Stadt Florenz und die regionale Regierung nur die Hälfte der Schlafplätze und Veranstaltungsorte zur Verfügung stellen, die sie ursprünglich versprochen haben. Gibt es Neues zu berichten?

Nein, bisher werden nicht genügend Räume angeboten. Es wird weiter verhandelt, doch wenn sich nichts tut, wenn kein geeigneter Raum angeboten wird, bleibt uns und vielen anderen keine andere Möglichkeit als zu besetzen.

Wie stehen die Ungehorsamen, die Disobbedienti, zum Forum?

Wir werden auf dem Forum massiv präsent sein. Wir wollen sowohl drinnen als auch draußen sein, Unterschiede klar machen, aber keine abgetrennte Position einnehmen, wie sie von einigen auf europäischer Ebene vorgeschlagen wurde. Die interessiert uns nicht, wir wollen Teil des Prozesses des Aufbaus des Europäischen Sozialforums sein, und zwar in radikaler und konfliktiver Weise. Aber deswegen stehen wir noch lange nicht außerhalb des Forums, diese Position nutzt nur denen, die eine Spaltung des Forums wollen. Die Haltung des Autonomen Forums, wie sie von PGA vorgeschlagen wurde, steht nicht zur Debatte [PGA hatte vorgeschlagen, parallel zum ESF in Florenz ein eigenes Forum durchzuführen] — das haben auch viele andere Kräfte der Bewegung in einer Stellungnahme nach einem europäischen Vorbereitungstreffen am 5.Oktober in Barcelona deutlich gemacht.

Francesco Raparelli ist Aktivist der Bewegung der Disobbedienti (hervorgegangen aus den Tute Bianche) und Mitarbeiter der Zeitschrift Posse. Er hat zwei Beiträge für den Band Genua — Italien — Geschichte, Perspektiven (Assoziation A 2002) verfasst.


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