Die Regierung Fujimori befindet sich mit dem Rücken an der Wand Ein Interview mit Isaac Velazco, Europa-Repräsentant der MRTA

Schwächt die MRTA-Aktion Fujimori?

Während die einen die Besetzung der japanischen Botschafterresidenz für die Schlußpunktaktion der MRTA halten, sind andere fest vom Gegenteil überzeugt. An eine Schwächung des Fujimori-Regimes durch die MRTA glaubt auch Isaac Velazco. Seit ihrer Gründung gehört er der Bewegung an, im Februar 1988 wurde er vom peruanischen Militär verhaftet und anschließend gefoltert. Velazco gelang die Flucht aus dem Gefängnis, er lebte von diesem Zeitpunkt an im Untergrund. Nachdem die Polizei 1993 die Wohnung seiner Familie durchsuchte, beschloß die MRTA-Führung, Velazco nach Deutschland zu schleusen. 1994 erhielt er hier politisches Asyl.

Warum hat das MRTA ausgerechnet die japanische Botschaft ausgewählt?

Japan ist heute eine wirtschaftliche Macht, die eine wichtige Rolle in der internationalen Politik und besonders auch in Lateinamerika einnehmen will. ... [Japan] betrachtet Fujimori als seine Speerspitze. In der Folge entstand ein Interessenkonflikt zwischen den USA und Japan in Peru. Daher hat Japan, um seine Stellung in Peru zu fe­stigen und auszubauen, auch den schmutzigen Krieg finanziert. Der japanischen Regierung war es auch gleichgültig, daß zwei japanische Entwicklungshelfer durch Paramilitärs ermordet wurden. Sie ist tief verwickelt in die Unterstützung dieses mörderischen Regimes. Daher hat die Nationale Leitung der MRTA beschlossen, an der Stelle zuzuschlagen, die der Diktatur die größten Schmerzen zubereiten würde.

Wird die Aktion in der Botschafterresidenz die Machtbasis Fujimoris konsolidieren, oder Spaltungen hervorrufen?

Die Regierung Fujimori befindet sich mit dem Rücken an der Wand. Alle, die mit der Regierung zusammenarbeiten, Unternehmer, Politiker oder Militärs, sind sich nun im klaren darüber, daß ihre Integrität in Gefahr ist. Sollten sie einmal Kriegsgefangene der MRTA sein, wird diese Regierung nichts für ihr Leben tun.

Welche Größe hat die MRTA heute?


Zahlen kann ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Aber unsere Kräfte sind im gesamten Land präsent. Die MRTA ist auf verschiedenen Ebenen organisiert. Es gibt Einheiten in ländlichen Gebieten, Spezialeinheiten, Kommandos und Milizen. Gemäß unserer Vorstellung sind unsere Mitglieder auch vielfältig aktiv, in der Propaganda, als Gewerkschaftsaktivisten, in sozialen Bewegungen und als Guerilla.

Die peruanische Regierung und besonders Präsident Fujimori hatten ihren Sieg über die Guerilla in Peru verkündet. Das entspricht ganz offensichtlich nicht der Wahrheit?!

Ja, die Regierung Fujimori hat sich als der große Sieger über die bewaffneten Bewegungen dargestellt. Dabei haben besonders zwei Faktoren eine Rolle gespielt: erstens, daß Abimael Guzman einen Friedensvertrag mit der Regierung unterschrieben hat und zweitens der taktische Rückzug der MRTA. Wegen der großen militärischen Offensiven der peruanischen Armee und der Repression der Bevölkerung, beschlossen wir den Großteil der politischen und militärischen Strukturen auf die ländlichen Gebieten im Zentrum Perus, in der Selva Central, zu konzentrieren. Im restlichen Land blieben nur Kommando- und Milizstrukturen, die eine intensive politische und organisatorische Arbeit in Stadtteilen, mit Bauern und mit Arbeitern, durchführten. Das hat die Regierung zu der trügerischen Einschätzung geführt, daß die Guerillabewegungen, vor allem die MRTA, besiegt worden seien. Heute sieht sich die Regierung der Situation gegenüber, daß die MRTA nie so angeschlagen war, wie es der Staat glaubte. Das hat sich auch in der Anzahl von Aktionen des MRTA auf dem Land gezeigt, mit denen der Armee harte Schläge versetzt wurden. Die Regierung hat versucht, das zu vertuschen, aber es ist ihr nicht gelungen. Der Bevölkerung ist klar geworden, daß die Regierung die Guerilla nicht besiegt hat und daß die neoliberale Politik nur noch mehr Armut verursacht. Seit Ende '95 ist sie dabei langsam ihre Organisierungs- und Mobilisierungsfähigkeit wieder zurückzuerobern.

Auch Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) soll sich in einigen Gegenden reorganisiert haben, militärisch aktiv sein und sogar seine Linie geändert haben.

Der Friedensvertrag hat zu einem schwerwiegenden Spaltungsprozeß innerhalb von Sendero geführt. Der Teil, der den bewaffneten Kampf fortsetzen will, hat Aktionen der bewaffneten Propaganda und Kontakt mit der Bevölkerung durchgeführt, wie sie Sendero bei der MRTA früher kritisiert hat. Aber trotz der scheinbaren Korrektur ihrer politischen Methoden, setzt Sendero auch seine traditionellen Methoden weiterhin ein. So etwa die Ermordung des Gewerkschafters Pascual Arozado im März '96. Die Angriffe auf alle, die sich ihnen entgegenstellen oder einfach nur nicht mit ihnen übereinstimmen, werden fortgesetzt. Es gibt innerhalb von Sendero Luminoso einen Kampf zwischen zwei Linien. Die eine will begangene Fehler korrigieren und sich auf die Seite der Revolution stellen, die andere will die Aktionen fortsetzen, die in der Praxis mit der Politik der Regierung übereinstimmen.

Wie ist das augenblickliche Verhältnis zwischen Sendero und der MRTA? In der Vergangenheit soll es sogar Angriffe von Sendero auf die MRTA gegeben haben.

Sendero ist eine sehr ausschließende Kraft, sie sehen ihre Ideologie als die einzig Wahre an und empfinden sich als alleinige Fahnenträger der peruanischen Revolution. Daher haben sie auch nie die Existenz anderer revolutionärer Organisationen akzeptiert. Sendero hat uns häufig als Hauptfeind betrachtet und sogar Hinterhalte für MRTA-Einheiten gelegt und MRTA-Genossen brutal gefoltert. In Fall des MRTA-Comandante Carlos Arrango war ein ganzes Dorf Zeuge seiner Ermordung durch Sendero. Arrango hielt sich heimlich in einem Dorf auf, das von Sendero besetzt wurde. Als sie ihn als MRTA-Comandanten erkannten, folterten sie ihn erst brutal, rissen ihm die Augen, die Zunge und die Hoden raus, bevor er starb. Das sind Verbrechen, die in keiner Weise verstanden oder gerechtfertigt werden können und widersprechen dem Vorgehen von Revolutionären.

Wie sind die Perspektiven für die MRTA?

Die MRTA ist als eine Bewegung entstanden. In ihr kommen verschiedene soziale Sektoren des Landes zusammen: Frauen und Männer aus der Stadt und vom Land, Intellektuelle, Gläubige usw., die gesamte Gesellschaft. Wir sind Kinder des Volkes, bestehen aufgrund des Vol­kes und vertreten seine Interessen. Natürlich verlangt die Transformation einer Gesellschaft die Zerstörung des alten Staates und den Aufbau eines neuen. Das bedeutet, daß man die Macht übernehmen muß. Wenn du wirklich die Probleme der Bevölkerung lösen willst, mußt du den Staat zerstören und die Macht übernehmen. Aber sie muß dann in den Händen der Arbeiter von Stadt und Land liegen. Es muß eine partizipative Demokratie geben, Mechanismen der Volksmacht müssen hervorgebracht werden. Und das praktizieren wir seit Jahren.