Venezuela vor den Referenden: Wie mit einem Zeitungsartikel die Chávez-Regierung verleumdet wurde

Ein Gerücht ging um die Welt

Am kommenden Wochenende findet in Venezuela das erste Referendum gegen Funktionäre der rechten Opposition statt. Der Urnengang bildet den Auftakt für eine Reihe von Abstimmungen, mit denen Unterstützer und Gegner der Chávez-Regierung die Machtverhältnisse zu verschieben suchen. Mit Spannung wird Ende des Monats ein Abberufungsreferendum gegen den Präsidenten Hugo Chávez erwartet.

Einhergehend mit den Vorbereitungen zu den Volksabstimmungen haben die Angriffe auf die Regierung zugenommen. So berichtete die rechte kolumbianische Tageszeitung El Tiempo Anfang November, daß der US-Senat Verteidigungsminister Colin Powell im Rahmen der Haushaltsverhandlungen für das Fiskaljahr 2004 freie Hand gegeben hat. Er sei befugt, bestehende Fonds für die Kooperation mit Venezuela zu sperren, sollten sich »konkrete Hinweise« auf eine Unterstützung der kolumbianischen FARC-Guerilla durch die Regierung in Caracas ergeben. Dies würde die Gelder für die Militärkooperation sowie die Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung betreffen. Die Summe ist zwar nicht hoch – sie wird auf etwa 25 Millionen Dollar geschätzt –, doch geht es zunächst um die symbolische Aussage. Irgend etwas, so scheinen die Gegner der »Bolivarianischen Revolution« zu hoffen, wird von den Vorwürfen und Mutmaßungen hängenbleiben.

Die US-Regierung stützte sich bei Powells Freibrief wesentlich auf einen Artikel, der am 6. Oktober 2003 in der Zeitung U.S. News and World Report unter dem Titel »Terror nahe der Heimat« erschienen ist. Die Journalistin Linda Robinson behauptete darin unter anderem, Chávez »flirtet mit dem Terrorismus«. Der Präsident, so schrieb Robinson, vergebe Tausende von Pässen an Ausländer und unterstütze direkt die kolumbianische FARC-Guerilla. Statt Beweise vorzulegen, berief sich Robinson lediglich auf »offizielle Quellen«, die natürlich ungenannt blieben. Powell wiederum zitierte aus dem Artikel, sprach von »ernsten Hinweisen« und wollte dazu einige CIA-Mitarbeiter vor den Senat laden.

Zu diesem Zeitpunkt war der Artikel schon längst als Propaganda entlarvt worden – aus US-Kreisen selbst: General Benjamin Mixon, Operationsleiter der Südkommandos der US-Armee, in dessen Bereich auch Venezuela fällt, erklärte gegenüber der Tageszeitung Miami Herald, daß er »keinen Grund habe, das zu glauben«. Auch Südkommando-General James Hill verwarf die Versionen Robinsons. Ähnlich äußerten sich Roger Noriega, Staatssekretär im US-Außenministerium für Lateinamerika.

Es sind wenige, die an den Terrorvorwürfen gegen Caracas festhalten. Einer von ihnen ist John Walters, Antidrogenzar des Weißen Hauses und ein Hardliner in der US-Administration. Walters verwies zuletzt auf einen Venezolaner, der in Kolumbien aufgetaucht war, um dort zu »bezeugen«, daß er als Pilot des venezolanischen Vizepräsidenten José Vicente Rangel auf dessen Befehl FARC-Kommandanten aus Kolumbien ausgeflogen habe. Nur wenige Tage später stellte sich der von Presse und Politik hofierte Zeuge als geistig verwirrter Geltungssüchtiger heraus, der in der Vergangenheit bereits mehrmals versucht hatte, mit spektakulären Geschichten in die Medien zu gelangen. Doch die Meldung über »Verbindungen der Chávez-Regierung zur FARC« war schon um die Welt gegangen. Die Richtigstellung dagegen landete in den meisten Redaktionen im Papierkorb.

Unseriöse Politik und vermeintlich vorsätzliche Falschinformationen beschränken sich jedoch keineswegs auf die unmittelbaren Akteure. Als das »Ibero-Amerikanische Institut« in Berlin Mitte Oktober ein Symposium zu Venezuela veranstaltete, meinte der CDU-Abgeordnete Hans-Jürgen Hedrich: »Präsident Chávez duldet wissentlich FARC-Kräfte auf venezolanischem Territorium.« Hedrich weiter: ???Und ich weiß, was ich sage.« Auf mehrmalige Nachfrage präsentierte Hedrich, der dem venezolanischen Präsidenten in einer Bundestagsdebatte unlängst vorwarf, eine »faschistische Diktatur« aufzubauen, seinen »Beweis«: Ein kopiertes Interview aus einer Wochenzeitschrift.