Interview mit Claudia Barron, Direktorin der juristischen Abteilung des Fraueninstituts von Mexiko-Stadt

Genderpolitik in Mexiko-Stadt

Wie sieht die Arbeit des Fraueninstituts aus? Was sind die konkreten Aufgaben?

Wir haben zwei sehr wichtige Aufgaben. Die eine besteht in der Stärkung des Bewusstseins für Beteiligung bei Frauen - vor allem bei denen mit geringem Einkommen - hier in Mexiko-Stadt. Das fängt bei der Demokratisierung der Familie an und geht über die Partizipation im Stadtteil bis hin zur Stadtregierung und mexikanischen Regierung. Die zweite zentrale Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass Genderpolitik in dieser Stadtregierung alle Ministerien und Bereiche durchzieht.

Häufig werden doch aber Fraueninstitute gegründet, um sich der Genderpolitik als Querschnittsaufgabe zu entledigen. Wie ist die Beziehung mit den verschiedenen Ministerien? Wie wird dort die Arbeit des Fraueninstituts gesehen? Welche Probleme resultieren daraus für Sie und für Nichtregierungsorganisationen (NRO)?

Wir stehen tatsächlich vor dem Problem, dass der Stadtrat von Mexiko-Stadt kürzlich beschlossen hat, ein Fraueninstitut im Rang eines Ministeriums ins Leben zu rufen. Das gibt uns zwar theoretisch eine gewisse Autonomie, andererseits existieren aber nicht die politischen und institutionellen Voraussetzungen dafür, dass dieses Institut dafür sorgen könnte, Genderpolitik in allen Bereichen zu etablieren. Wir waren als Fraueninstitut und Teil der Regierung gegen diesen Vorschlag und wollten eine andere Form, doch die Abgeordneten haben anders entschieden. Das war eine schwierige Situation für mich, denn auch die meisten Genossinnen aus der Frauenbewegung waren für diesen Vorschlag. Meine Rolle als Leiterin der juristischen Abteilung war es aber, genau auf diese Defizite hinzuweisen und zu kritisieren, dass die Behandlung der Genderfrage als Querschnittsaufgabe in anderen Ländern vielleicht funktioniert, in Mexiko aber z.B. durch gesetzliche Bestimmungen verhindert wird.

Ich habe das Gefühl, dass Sie sich in dem Widerspruch befinden, das Fraueninstitut einerseits und andererseits eine Bewegung zu repräsentieren. Identifizieren Sie sich mit der Institution, mit der PRD oder mit der Bewegung?

(lacht). Ja, ich identifiziere mich mit der Institution und mit der Bewegung. Mit der PRD nicht, ich bin auch nicht Parteimitglied. Auch wenn ich natürlich sowohl für das Programm als auch für viele Leute in der PRD Sympathien hege. Ich stehe mehr für die Arbeit des Instituts und die Ziele der feministischen Bewegung.

Wie viel Raum gibt es denn für feministische Politik, wenn wie im Moment »Sparen« einer der wichtigsten Begriffe in der Stadtpolitik zu sein scheint?


Als Institut waren wir davon eigentlich nicht betroffen. Unser Haushalt für dieses Jahr wurde zwar von 47 Millionen Peso (ca. 6 Millionen Euro) auf 44 Millionen Peso gekürzt, doch gleichzeitig mit einer Zusatzfinanzierung von 15 Millionen Peso (ca. 2 Millionen Euro) bedacht - zehn Millionen davon sind übrigens für die Finanzierung von NRO gedacht. Auch in anderen Bereichen sieht es ähnlich aus, etwa im Gesundheitssektor, in dem auch viele Programme spezifisch auf Frauen zugeschnitten sind. Er wurde als prioritär bezeichnet und war von den Kürzungen nicht betroffen.

Wie gestaltete sich der Übergang von Ihrer Arbeit in einer NRO zur Arbeit in einer Regierungsinstitution?

Es war kompliziert, da von Seiten dieser Regierung keine umfassende Kommunikation mit den verschiedenen Frauenorganisationen bestand. Auch die Ernennung der Leiterin des Fraueninstituts erfolgte ohne Rücksprache mit den Frauenorganisationen. Die Kommunikation zwischen der Regierung von Lopez Obrador und der Frauenbewegung ist - im Vergleich mit vorherigen linken Stadtregierungen - weitaus schwächer. Das Institut ist beispielsweise an das Sozialministerium der Stadt angebunden, während die Bewegung es vorziehen würde, wenn es enger an das Innenministerium der Stadt gebunden wäre, um so aus der Geschlechterpolitik eine Querschnittsaufgabe zu machen und ihr mehr Gewicht zu verleihen. Das bringt mich manchmal in eine schwierige Situation. Aber mir gefällt diese Arbeit, denn ein Job in der Regierung gibt dir die Möglichkeit, eine Verbindung zu Institutionen zu entwickeln, die dir eine NRO nicht gibt. Natürlich musst du dafür eine Reihe Formalitäten erledigen und das gestaltet sich für mich oft schwierig. Ich bin bei vielen Funktionären nicht sehr beliebt, da sie meinen, dass ich mit der Kritik an ihrer Arbeit übertreibe. Aber wenn mir etwas ethisch fragwürdig erscheint, dann hinterfrage ich das natürlich. Das Bild der Funktionäre ist hier noch sehr von der Sichtweise unter der alten Regierungspartei PRI geprägt, gemäß der die Institutionen nicht kritisiert werden dürfen. Das gilt es natürlich auch zu verändern.

Aber die PRD verhält sich doch häufig auch sehr opportunistisch. Vor etwas über einem Jahr z.B. wurde über die Gesetzesvorlage zu homosexuellen Lebensgemeinschaften nicht einmal diskutiert, da viele PRD-Abgeordnete die Ansicht äußerten, »der Augenblick sei nicht opportun«. Beispiele dieser Art gibt es ja viele in der Geschichte der Linken ... Existieren weitere Probleme dieser Art und wie verhält sich das Fraueninstitut demgegenüber?

Wir haben keinerlei Beschränkung in unseren Positionen und so haben wir damals die Gesetzesinitiative unterstützt und ihre Bedeutung auch dann noch unterstrichen, als die Abgeordnete, die sie vorgeschlagen hat, sie wieder zurück zog. Zur Zeit z.B. arbeiten wir aktiv für die Verteidigung der von der vorherigen Bürgermeisterin Rosario Robles eingeführten Ausweitung der Gründe für die Nicht-Strafbarkeit von Abtreibung. Die Abgeordneten der konservativen Regierungspartei PAN haben eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die aktuelle PRD-Regierung hat uns nie eine Linie auferlegt. Aber es kommt natürlich trotzdem zu Situationen, in denen Parteivertreter sagen, etwas sei nicht opportun. An der Ausarbeitung der Gesetzesinitiative zur Ausweitung des Konzepts der Lebensgemeinschaften im Zivilrecht war ich als Vertreterin der NRO beteiligt und da knallten natürlich gesellschaftliche und parteipolitische Interessen aufeinander. Wir haben allerdings auch als Bewegung - Frauen, Homosexuelle und Zivilgesellschaft - nicht genügend Arbeit in diesem Bereich geleistet. In Ecuador z.B. wurde ein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung sogar in die Verfassung aufgenommen und das war möglich, da die verschiedenen Organisationen und Bewegungen ein breite gesellschaftliche Arbeit leisteten und anhand einer Befragung auch zeigten, dass die Gesellschaft nicht dagegen ist. Als Bewegung haben wir zwar oft recht, doch wir argumentieren häufig nicht gut genug und es ist uns auch schon passiert, dass die Initiativen schlecht ausgearbeitet waren.

Wie ist denn das Verhältnis zwischen dem Fraueninstitut und der feministischen Bewegung und den Frauen-NRO?


Die Leiterin, Isabel Molina, kommt nicht aus der Bewegung, sondern aus der PRD. Doch die Arbeit, die im vergangenen Jahr geleistet wurde - und über die die Frauenorganisationen und Repräsentantinnen der Frauenbewegung, die im Rat des Fraueninstituts sitzen, auch regelmäßig informiert werden - hat bewiesen, dass wir als Team die Arbeit des Fraueninstituts voran bringen. Wir haben unsere Arbeit im vergangenen Jahr mit der Zustimmung der Frauenbewegung abschließen können.

Gibt es denn Teile der Frauenbewegung, die die Arbeit des Instituts stärker kritisieren oder nicht mit dem Institut zusammen arbeiten wollen?


Die wichtigste Scheidelinie im Feminismus in Lateinamerika und auch in Mexiko während der vergangenen Jahre war zwischen dem sogenannten »autonomen Feminismus« und dem »institutionellen Feminismus«, der stärker an der Zusammenarbeit und dem Wirken auf und in Institutionen orientiert ist. Ich selbst komme aus dem »institutionellen Feminismus«, habe aber viele gute Freundinnen, die aus dem »autonomen Feminismus« kommen und teile auch viele ihrer Positionen. Der »autonome Feminismus« ist in Mexiko aber nicht sehr repräsentativ und die aller-meisten feministischen NRO haben eine Zusammenarbeit mit dem Institut. Aber natürlich gibt es auch kritische Sichtweisen und ich halte das für wichtig und bereichernd, gerade wenn du in einer institutionellen Tätigkeit steckst. So gibt es auch auf den Versammlungen des Rats des Instituts, auf denen Arbeit und Vorhaben vorgestellt werden, immer wieder Kritik.

Welche Struktur und welche Entscheidungsmacht hat denn der Rat?


Der Rat ist ein Organ des Instituts, um Einschätzungen einzuholen. Er besteht aus Frauen aus NRO, Akademikerinnen und den Abgeordneten der Kommission für »Gleichheit und Gender« (»equidad y genero«) des Stadtrats. Das Institut lädt die Frauen ein, am Rat teilzunehmen. Er trifft sich alle drei Monate, hat aber noch vier verschiedene Arbeitsgruppen, die kontinuierlicher zusammenkommen. An den Arbeitsgruppen nehmen Frauen aus dem Rat und aus anderen Ministerien teil. So kommen Genderfragen auch in andere Ministerien. Die Kommissionen haben zwar, so wie auch der Rat, keine bindende Entscheidungsfunktion, aber es wird versucht, zu gemeinsamen Positionen zu kommen.

Häufig ist es doch aber auch so, dass linke Regierungen AktivistInnen aus Bewegungen und NRO in die Institutionen absaugen und die Bewegungen an Kraft verlieren, häufig nicht mehr den notwendigen gesellschaftlichen Druck ausüben können. Siehst du diese Problematik auch hier?

Ja, in der Hauptstadt auf jeden Fall. Viele Leute aus Bewegungen und NRO arbeiten mittlerweile in der Stadtregierung. Meine NRO ist z.B. fast nicht mehr existent, eine Genossin unserer Gruppe wurde »delegada« (eine Art Bürgermeisterin) eines Stadtbezirks und sie hat natürlich Frauen für die Arbeit gesucht, zu denen sie ein großes Vertrauen hatte und mit denen sie gut arbeiten konnte. Die waren aus unserer Gruppe und anderen Frauenorganisationen. In meiner NRO ist im Moment nur noch eine Frau in Vollzeit tätig. Viele NRO aus der Frauenbewegung sind auf diese Weise stark ausgedünnt worden, das gleiche ist auch mit vielen Menschenrechtsorganisationen geschehen.

Führt das nicht zu einer gefährlichen Situation, in dem Sinne, dass zunehmend die Basis abhanden kommt, für die eigentlich eine gewisse Politik gestaltet werden soll und deren gesellschaftlicher Druck benötigt wird?

Ja, das stimmt. Aber ich glaube das Problem liegt vorwiegend darin, dass wir als Organisationen nicht gelernt haben, unsere Basis zu erweitern, sondern immer mit den gleichen Leuten gearbeitet haben und wenn dann die Leute weggehen, die immer da waren, bricht die Arbeit zusammen. Das darf nicht so sein.

Das Interview führte DNA.