Vicente Fox‘ zwei Gesichter

Mexiko

Über 3000 Anhänger der EZLN versammelten sich in der Silvesternacht um den 7.Jahrestag des Aufstands der zapatistischen Guerilla im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas am 1.Januar 1994. Die indianische Basis der zapatistischen Guerilla feierte das Ereignis mit Tanz und Gedichten. Comandante David, ehemaliger Leiter der Verhandlungsdelegation der Zapatisten, verlas eine Erklärung, in der er die neue mexikanische Regierung aufforderte, die mitten im zapatistischen Gebiet in sieben Militärcamps stationierten Soldaten unverzüglich zurückzuziehen, die in drei Bundesstaaten über 100 inhaftierten Zapatisten freizulassen und das Gesetz zu indianischen Rechten und Kultur zu verabschieden.

Weiterhin rief er die mexikanische Zivilgesellschaft dazu auf, die Verabschiedung des Gesetzes und die Reise von 22 Comandantes der Guerilla-Organisation nach Mexiko-Stadt Ende Februar zu unterstützen. Die Zapatisten wollen dort vor den Abgeordneten des Kongresses ihren Standpunkt zur Gesetzesinitiative darlegen.

Einen Tag später drangen 700 unbewaffnete Anhänger der Zapatisten in das Gelände des Militärcamps Jolachoj ein und forderten lautstark den Abzug der Militärs. Präsident Vicente Fox erteilte Befehl für dessen sofortigen Rückzug. In Mexiko wie international stellt sich der neue Präsident gerne als Mann des Dialogs und des Friedens dar. Er beteuert unaufhörlich, er wolle die Gespräche mit der Guerilla in Chiapas so bald wie möglich wiederaufnehmen, um eine friedliche und politische Lösung des Konflikts zu erzielen.

Fox erklärte, allen Forderungen der Zapatisten entsprechen zu wollen, und verkündete gleich am ersten Tag nach seinem Amtsantritt den Rückzug der Armee und die Aufhebung der Straßenkontrollpunkte. Die Gesetzesvorlage zu den Rechten der indigenen Gemeinden brachte er persönlich in den Kongress ein, wo sie Ende Februar diskutiert werden soll.

Die ebenfalls Anfang Dezember angetretene neue Regierung in Chiapas schließlich verkündete die notwendigen Schritte und veranlasste am 30.12. die Freilassung 16 inhaftierter Zapatisten. Vordergründig scheint alles auf dem besten Weg, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein deutlich anderes Bild.

Der vermeintliche Rückzug der Armee beschränkt sich auf vier Gemeinden in nur einem der annähernd 40 umstrittenen Bezirke. Von den 63000 in Chiapas anwesenden Soldaten wurden gerade mal 1500 zurückgezogen, und das auch nur in ihre Kasernen. Die Straßensperren der Militärs wurden längst nicht alle aufgelöst, einige wurden sogar neu installiert. So bemängeln die indigenen Gemeinden auch, bisher nichts von dem angekündigtem Rückzug der Armee zu spüren. Von den sieben Camps, die laut der Forderungen der Zapatisten völlig aufgelöst werden sollen, bestehen fünf in voller Stärke und mitten in zapatistischen Dörfern weiter. Insgesamt sind es ohnehin über 260 bestehende Camps, Kontrollpunkte und Militärzonen. Und auch die Paramilitärs, von denen mittlerweile über zehn Gruppierungen unbehelligt oder sogar mit der Unterstützung von Polizei und Militär in Chiapas agieren, blieben bisher ungestört.

Auf Fragen von Journalisten, warum das Militär nicht ganz und unmittelbar aus den betroffenen Gebieten zurückgezogen wird, reagiert Fox ausweichend, einen Termin für den Rückzug will er nicht nennen, und tönt: "Es gefällt uns nicht, über Dinge zu reden, wir lassen Taten sprechen."

Die Taten sprechen für sich. Die renommierte Wochenzeitschrift Proceso veröffentlicht in ihrer neuesten Ausgabe, dass die Militarisierung in einigen Gebieten sogar zugenommen habe. So wurden bspw. die Militärs, die auf Fox‘ Entscheidung hin am 22.12. als Geste des Friedens aus Amador Hernández abgezogen wurden, nach San Quintín, im Herzen des Lakandonischen Urwalds, Hochburg der Zapatisten, verlegt, wo ohnehin schon nahezu 1000 Soldaten den 1500 Tzeltal-Indianern gegenüberstehen.

Die Gesetzesvorlage zu indianischen Rechten und Kultur wird voraussichtlich erst im Frühjahr debattiert werden. Subcomandante Marcos und weitere 22 Comandantes der EZLN wollen sich am 28.Februar persönlich im Kongress in Mexiko-Stadt zur Gesetzesinitiative äußern. Sollte der politische Wille in der Regierung vorhanden sein, die Vorlage in Realität zu verwandeln, könnte dies innerhalb von drei Monaten geschehen. Es stimmt jedoch misstrauisch, dass ausgerechnet Xóchitl Gálvez, die von Fox neu ernannte Verantwortliche des "Präsidentenbüros für die Entwicklung der indigenen Völker" verkündete, der Prozess werde zwei Jahre dauern.

Als ungenügend erwies sich bisher auch die vermeintliche Freilassung aller inhaftierten Zapatisten. In einem Kommuniqué begrüßte die EZLN zwar die Intention der neuen Regierung, erinnerte aber gleichzeitig daran, dass auch in zwei weiteren Bundesstaaten Zapatisten inhaftiert seien.

Das öffentliche Vorgehen von Präsident Fox entspricht einer neuen Art der Aufstandsbekämpfung, erklärt der Politologe und angesehene Spezialist für Militärstrategien, Carlos Fazio. In einem geheimen Plan namens "Chiapas 2000" seien alle bisherigen Schritte vorab genau beschrieben. Es gehe zunächst darum, den Zapatisten auf der Grundlage der "demokratischen Legitimität" die Fahne der Gerechtigkeit aus der Hand zu nehmen. Dazu soll die Regierung als "glaubwürdig" dargestellt werden, als "freundlich, nicht autoritär und offen für Alternativen", vor allem der Präsident soll als "direkter Faktor des Dialogs" aufgebaut werden, der den Zapatisten die moralische Vertretung der Indianer streitig macht.

Anschließend soll Schritt für Schritt das positive Bild der EZLN und Marcos demontiert werden. Dafür soll der "Öffentlichkeit gezeigt werden, wie Marcos sich mit kriminellen Machenschaften persönlich unheimlich bereichert hat", während die EZLN in den Drogenhandel verstrickt sei. Danach sollen "taktische chirurgische Eingriffe gegen die Kriminellen" erfolgen. Auf den Vatikan soll eingewirkt werden, dass er die Befreiungstheologen und progressiven Priester in Chiapas austauscht; die paramilitärischen Verbände sollen in Verhandlungen mit lokalen Kaziquen in legale Polizeieinheiten verwandelt werden.

Auch die Hoffnung vieler Mexikaner, mit der Wahl von Fox käme es zu einer Stärkung ziviler Instanzen und der Einfluss der Armee würde zurück gedrängt, wurde nach der Amtsübernahme enttäuscht. Entgegen seinen ausdrücklichen Wahlversprechen ernannte der neue Präsident einen Militärstaatsanwalt zum Generalstaatsanwalt. Darüber hinaus kündigte er an, den Etat der mexikanischen Streitkräfte um 12% zu erhöhen und die 12400 Mann starke Infanterie der Marine in eine mobile Eingreiftruppe zu verwandeln. Zielt die Maßnahme auf den verstärkten Einsatz der Armee in anderen Bundesstaaten mit Guerillapräsenz wie Guerrero, Oaxaca, Tabasco u.a.? Fox jedenfalls kündigte bereits an, "mit aller Härte" gegen bewaffnete Gruppen in anderen Bundesstaaten vorgehen zu wollen. Einer zivilen Lösung sozialer Konflikte ist dies kaum dienlich.


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