Aufruf zu Volksbefragung findet Unterstützung

Mexiko: Schachzug der Zapatisten

Der Zeitpunkt war geschickt gewählt. Unmittelbar vor dem dreitägigen Besuch von UN-Generalsekretär Kofi Annan in Mexiko meldeten sich am Dienstag die Zapatisten mit einer politischen Initiative aus den Chiapas-Wäldern.

Der Vorschlag der Zapatisten: Die Bevölkerung Mexikos solle über einen Gesetzentwurf zu den Rechten und zur Kultur der Indigenen abstimmen. Diese Initiative wurde in der »V. Erklärung des Lakandonischen Urwalds« des Generalkommandos des Geheimen Revolutionären Indigena-Komitees der EZLN bekanntgegeben. »Ohne die indianischen Gemeinschaften«, heißt es darin, »wird es weder einen Übergang zur Demokratie geben, noch eine Staatsreform oder eine reale Lösung für die wichtigsten Probleme des Landes.

Mit den Indianern ist ein neues und besseres Land notwendig und möglich. Ohne sie hat die Nation keine Zukunft.« Erst wenige Tage zuvor hatte die zapatistische Guerilla mit einem Kommuniqué von Subcomandante Marcos ihr monatelanges Schweigen gebrochen. Die Regierung hatte dieses Schweigen als Vorbereitung neuer militärischer Aktionen interpretiert. Erst in den letzten Tagen waren wiederholt Meldungen über angeblich bevorstehende Angriffe der EZLN lanciert worden. Die EZLN selbst bezeichnete ihr Schweigen als »eine Mauer, die uns schützte und stärkte«.

Nun also der Vorschlag einer Volksbefragung, und zwar über eine bereits seit längerem vorliegende Gesetzesinitiative der parlamentarischen Friedenskommission COCOPA. Der COCOPA-Entwurf, der eine verfassungsrechtliche Verankerung der kollektiven Rechte der indianischen Gemeinschaften vorsieht, gründet sich auf die 1995 von EZLN und Regierung unterschrieben Abkommen von San Andrés. Diese waren jedoch nicht umgesetzt worden. Präsident Ernesto Zedillo hatte dem Parlament eine eigene Fassung vorgelegt, die nichts mehr mit den unterschrieben Abkommen gemein hatte.

Darüberhinaus wurde die COCOPA - obwohl vom Parlament ins Leben gerufen und aus Vertretern aller Parteien (inklusive der Regierungspartei PRI) bestehend - konsequent von der Regierung mißachtet. In ersten Äußerungen reagierten einzelne Mitglieder der COCOPA zustimmend auf die Initiative der Zapatisten. Sie habe einen Raum für Frieden geöffnet und Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang des Konflikts in Chiapas geweckt, erklärte zum Beispiel COCOPA-Sprecher Félix de Jesús Vicencio von der konservativen Oppositionspartei PAN.

Auf große Zustimmung stieß das zapatistische Projekt beim Nationalen Indigena-Kongreß (CNI), der Organisationen der 52 verschiedenen indigenen Gruppen Mexikos zusammenfaßt. In einer kurzen Erklärung bezeichnete der CNI die Initiative als »die bisher einzige authentische und sichtbare Friedensinitiative« und kündigte »eigene Strategien« für die Beteiligung an. Auch die Nationale Landarbeitervereinigung und die Gewerkschaft der Beschäftigten der größten Universität Mexikos wollen daran mitwirken. Die Regierung reagierte mit Ausflüchten. Innenminister Francisco Labastida Ochoa äußerte, man könne die dem Nationalkongreß vorgelegte Präsidentschaftsinitiative über indigene Rechte und Kultur nicht einfach wieder zurückziehen. Damit sei die Regierung bereits den Abkommen von San Andrés nachgekommen, und es liege nun am Parlament, darüber zu entscheiden. »Die Regierung«, so Labastida vollmundig, »wird weiterhin entschlossen gegen die Armutsprobleme kämpfen und den Unterschied im Lebensstandard zwischen Chiapas und dem Rest des Landes abbauen, Respekt für das Gesetz durchsetzen sowie dem intoleranten Klima in jenem Bundesstaat ein Ende bereiten.« Die Regierung sei »weder die Geisel Marcos`, noch von irgendjemand anderem«, und »Sebastián Guillén« - so der vermeintliche Familienname des Zapatisten-Sprechers - »könne noch ein, zwei oder fünf Jahre im Urwald verbringen«.

Die Zapatisten lassen sich von solchem Gerede nicht beeindrucken. Sie wollen nun Delegierte in die über 2000 Städte und Landkreise Mexikos entsenden, die die Initiative erklären und an der Vorbereitung der Volksbefragung mitwirken sollen.