Trotz Belagerungszustand funktionieren die autonomen zapatistischen Landkreise in Chiapas

"Wir können alles selbst organisieren"

Die Zapatisten haben sich wieder zu Wort gemeldet. Am Dienstag vergangener Woche wurde die "V. Erklärung

des Lakandonischen Urwalds" des Generalkommandos des Klandestinen Revolutionären Indigena-Komitees (CCRI-CG) der EZLN veröffentlicht. In der Erklärung wird angekündigt, die EZLN werde eine Volksabstimmung über die Gesetzesinitiative der parlamentarischen Friedenskommission Cocopa durchführen.

"Ohne die indianischen Gemeinschaften wird es weder einen Übergang zur Demokratie geben noch eine Staatsreform oder eine reale Lösung für die wichtigsten Probleme des Landes. Mit den Indianern ist ein neues und besseres Land notwendig und möglich. Ohne sie besteht als Nation keine Zukunft." So die EZLN in ihrem Papier.

Erst wenige Tage zuvor hatte die zapatistische Guerilla mit einem Kommuniqué von Subcomandante Marcos ihr monatelanges Schweigen gebrochen. Marcos wirft darin die rhetorische Frage auf: "Verhandeln? - Wozu?" Auf sieben Zeitungsseiten beschrieb er die Contra-Strategie der Regierung gegen die Bevölkerung.

Diese hatte das Schweigen der Zapatisten öffentlich als Vorbereitung neuer militärischer Aktionen interpretiert. In den letzten Tagen waren wiederholt Meldungen unmittelbar bevorstehender Angriffe der EZLN lanciert worden.
Die EZLN selbst bezeichnet ihr Schweigen im vorliegenden Kommuniqué als "eine Mauer, die uns schützte und stärkte". Denn "während die Regierung hohle Worte von sich gab und sich beeilte, mit einem Rivalen zu diskutieren, der sich ihr ständig entzog, machten wir Zapatisten aus dem Schweigen ein Kampfinstrument, das sie nicht kannte und gegen das sie nichts unternehmen konnte."

In den vergangenen Wochen und Monaten war die Regierung militärisch bzw. repressiv gegen die autonomen zapatistischen Landkreise, gegen internationale Beobachter und mexikanische Menschenrechts- sowie Bauernorganisationen vorgegangen, während die EZLN nicht direkt darauf reagierte. Nun hat die EZLN ihr Schweigen gebrochen und verkündet, sie werde - gemeinsam mit anderen Organisationen - in ganz Mexiko eine Volksbefragung über die Gesetzesinitiative der parlamentarischen Friedenskomission Cocopa durchführen. Dazu will sie in jede der etwas über 2 000 Städte und Landkreise eine Delegation entsenden, die die Initiative "erklären" und sich "an der Durchführung der Volksbefragung beteiligen" soll.

Der Cocopa-Entwurf schlägt eine verfassungsrechtliche Anerkennung kollektiver Rechte der indianischen Kommunen vor. Das Unterfangen gründet auf den Abkommen von San Andrés, die 1995 von EZLN und Regierung unterschrieben, jedoch von der Administration nie umgesetzt wurden. Die Initiative der Cocopa ist älteren Datums und wurde von der Regierung des Präsidenten Ernesto Zedillo abgeschmettert, die eine eigene Fassung vorlegte, welche nichts mit den unterschriebenen Abkommen gemein hat. Die Cocopa wurde, obwohl vom Parlament einberufen und aus Vertretern aller Parteien (inklusive der Regierungspartei PRI) bestehend, von der Regierung konsequent mißachtet.

In ersten Äußerungen reagierten einzelne Mitglieder der Cocopa positiv auf die Initiative der Zapatisten. Die Erklärung der EZLN habe einen Raum für Frieden in Chiapas geöffnet, so der Sprecher der Cocopa Félix de Jesœs Vicencio, Angehöriger der konservativen Oppositionspartei PAN. Es fehle nur noch, daß die Regierung den realen politischen Willen unter Beweis stelle, den Dialog zu konkretisieren. Der Cocopa-Repräsentant und Abgeordnete der linken Oppositionspartei PRD, Gilberto L-pez y Rivas, bezeichnete den Vorschlag der EZLN als durchführbar.

Auf große Zustimmung stieß die Initiative der Zapatisten beim Nationalen Indigena-Kongreß (CNI), einer Struktur, die Organisationen der 52 verschiedenen indigenen Gruppen Mexikos zusammenfaßt und mit der EZLN zusammenarbeitet. Die Organisationen des CNI waren auch an den Verhandlungen um die Abkommen von San Andrés beteiligt. In einer Erklärung bezeichnete der CNI die Initiative der EZLN als "die bisher einzige authentische und sichtbare Friedensinitiative" und kündigte "eigene Strategien für die Beteiligung an dieser wichtigen Friedensinitiative" an. Ihre Beteiligung an der Befragung kündigten auch die Nationale Landarbeitvereinigung (UNTA) und die Gewerkschaft der Beschäftigten der größten Universität Mexikos, der UNAM, an.
Die mexikanische Regierung reagierte indes ablehnend. Innenminister Francisco Labastida Ochoa sagte, die Regierung könne die dem Nationalkongreß vorgelegte Präsidentschaftsinitiative über indigene Rechte und Kultur nicht einfach zurückziehen; dies stehe lediglich der Legislative zu. Zudem sei die Regierung mit dieser Gesetzesinitiative bereits den Abkommen von San Andrés nachgekommen; die Entscheidung liege nun beim Kongreß.
"Die Regierung", so Labastida, "wird weiterhin entschlossen gegen die Armutsprobleme kämpfen und dafür den Unterschied im Lebensstandard zwischen Chiapas und dem Rest des Landes abbauen und Respekt für das Gesetz durchsetzen, damit das intolerante Klima in jenem Bundesstaat ein Ende findet". Die Regierung sei "weder die Geisel Marcos' noch von irgend jemand anderem" und "Sebasti‡n Guillén" - so der vermeintliche Name des Zapatisten-Sprechers - "könne noch ein, zwei oder fünf Jahre im Urwald verbringen".

Doch der Moment für die Initiative der EZLN ist günstig gewählt. Die mexikanische Regierung ist durch verschiedene Skandale diskreditiert wie selten zuvor. Neben den militärischen Aktionen gegen die autonomen Landkreise und den vom Militär im vergangenen Monat in Chiapas und Guerrero verübten Massakern (Jungle World, Nr. 26/98) beherrscht ein Skandal um Regierungssubventionen für die mexikanischen Banken die gegenwärtige Debatte.
Im Jahr 1995 hatte die Regierung über die neugeschaffene Institution Fobaproa 65 Milliarden US-Dollar an alle mexikanischen Banken zur Schuldendeckung überwiesen, um einen Zusammenbruch zu vermeiden. Das Geld, so wurde erst kürzlich bekannt, wurde dem staatlichen Rentenfonds entnommen und entspricht den gesamten mexikanischen Renten für die nächsten 25 Jahre. Die Banken verschoben einen Großteil der Gelder auf Auslandskonten statt ihn zur Schuldentilgung einzusetzen. Nun sind die Banken erneut zahlungsunfähig und die Rentenkasse leer. Im mexikanischen Haushalt weisen nichtsdestoweniger Subventionsprogramme für private Banken und Straßenbauunternehmen mit elf Prozent des Gesamtaufkommens einen höheren Posten aus als die Sozialausgaben mit lediglich neun Prozent.

Die Folgen dieser seit Jahren betriebenen neoliberalen Politik sind deutlich: Mexikos Unterklassen sind auf den gleichen Stand der Armut zurückgeworfen wie im Jahr 1968. Mehr als die Hälfte der 85 Millionen Mexikaner leben in Armut, 22 Millionen davon in extremer Armut, 58 Prozent der Kinder weisen gesundheitliche Schäden auf, die auf Armut zurückzuführen sind, 100 000 Kinder sterben jährlich an den Folgen von Unterernährung.
Angesichts dieser Situation wird es die mexikanische Regierung schwer haben, sich dem, schon einen Tag nach Veröffentlichung breit unterstützten Vorschlag der EZLN entgegenzustellen.
I Dario Azzellini, Mexiko-Stadt