Zur Situation in Ecuador nach dem Aufstand im Januar

Ungebrochen optimistisch

Seit Jahren brodelt es in Ecuador. Im Januar weiteten sich die Proteste der mächtigen indianischen Organisation CONAIE (40% der Bevölkerung sind indigen) sowie verschiedener linker Gruppierungen und Gewerkschaften gegen die angekündigte Einführung des US-Dollars als offizielles Zahlungsmittel und die neoliberale Politik zum Aufstand aus. Gemeinsam mit Teilen des Militärs wurde das Parlament gestürmt und eine provisorische Junta gebildet.

Doch innerhalb nur eines Tages ging die Macht durch einen geschickten Schachzug der Armeeführung wieder in die Hände der traditionellen Institutionen über und der ehemalige Vizepräsident wurde zum Präsidenten ernannt. (vgl. ak 435) Seit Mitte April ist nun die Dollarisierung eingeführt. Über die Protestbewegung, die Situation im Land und die Perspektiven sprach Dario Azzellini mit Calixto Anapa P., leitendem Vertreter der CONAIE (Confederacion de Nacionalidades Indigenas del Ecuador/Konföderation indianischer Nationalitäten Ecuadors) und bis Anfang April Mitglied der mit der Regierung verhandelnden CONAIE-Kommission.

Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht die Ereignisse vom Januar?

Die Mobilisierung im Januar diente in erster Linie dazu, das Kräfteverhältnis zu messen zwischen einerseits der traditionellen politischen und ökonomischen Macht der ecuadorianischen Rechten, die von den imperialisitschen Kräften unterstützt wird, und andererseits den alternativen Kräften der indianischen Völker und sozialen Bewegungen Ecuadors. Wir wollten, sehen wie die Sektoren der Rechten darauf reagieren. Wir mussten schließlich zurückweichen angesichts des Umschwungs der Streitkräfte, die unsere Initiative anfänglich unterstützt hatten. Wir entschieden dann, aus strategischen Gründen das Parlament zu verlassen und uns aus der Provisorischen Junta der Nationalen Rettung zurückzuziehen.
Wir betonen aber weiterhin, dass die Organisierung und der Kampf um Alternativen möglich ist: Durch den landesweiten Kampf der Massen und gut organisierter Sektoren ist es möglich Strukturen vollständig zu verändern. Wir standen im Januar vor der Möglichkeit, die gesamten Strukturen, Exekutive, Legislative, Judikative und alle Institutionen aufzulösen. Es war aber eine etwas überstürzte Situation, denn wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so leicht sein würde.

Die neue Regierung hatte zwar zugesagt alle Beteiligten zu amnestieren, hat dies aber nicht eingehalten. Wie viele Gefangene gibt es noch aus den Januartagen?

Die Repression betraf vor allem die beteiligten Militärs. Offiziell sind noch vier Oberste inhaftiert, während etwa 100 Offiziere, die sich an dem Aufstand beteiligt hatten, in den Dschungel verlegt wurden, wo sie völlig isoliert sind. Es wird versucht, Disziplinarverfahren gegen sie anzustrengen, um sie aus dem Militärdienst zu entfernen. Wir von der CONAIE haben zwar auch Anklagen, bisher aber noch keinen Haftbefehl. Wir glauben aber, die Regierung sucht einen Weg, um uns alle zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich haben wir ja die verfassungsmäßige Ordnung gebrochen. In verschiedenen Versammlungen der CONAIE haben wir immer wieder betont, dass sich alle drei bis vier Millionen CONAIE-Sympathisanten für einen Haftantritt melden, wenn unsere Repräsentanten inhaftiert werden sollten. Die Regierung hat bisher noch nicht gehandelt, aber wir wissen, dass sie an einer Strategie überlegt, wie sie die CONAIE-Repräsentanten inhaftieren kann. Wir kämpfen, um das zu verhindern, und fordern die Einstellung aller Verfahren.

Die Unterstützung eines linken Aufstandes seitens der Armee klingt ja recht ungewöhnlich. Was ist der Hintergrund und welche Sektoren des Militärs unterstützen die Aufstandsbewegung?

In der Tat klingt das für die meisten Länder der Welt recht ungewöhnlich. Hier in Ecuador besteht jedoch eine besondere Situation. Viele Militärs werden für soziale Aufgaben eingesetzt. Dadurch hat sich ein reger Kontakt zwischen unteren Dienstgraden und vielen Gemeinden und armen Stadtteilen ergeben, in denen diese Militärs arbeiten. Die meisten sind sich also dessen bewusst, was die Basisorganisationen wollen, sie wissen, wie eine Alternative aussehen kann und dass sie möglich ist. Die Verfolgung der im Januar direkt am Aufstand Beteiligten hat eine weitere Spaltung in der Armee hervorgebracht und wir kämpfen dafür, dass die Militärs, die mit Basisbewegungen in Kontakt stehen, weiterhin für die Veränderung arbeiten können.

Die Streitkräfte sind also weiterhin ein Bündnispartner für eine Veränderung?

Wir glauben an eine friedliche Revolution, die Einheit und die Beteiligung aller sozialen Sektoren. Doch auch wenn wir einen friedlichen Kampf propagieren, ist es von strategischer Bedeutung, gewisse Abkommen mit Mitgliedern der Streitkräfte zu schließen, die den Prozess der Veränderung bedingungslos unterstützen und sich bewusst daran beteiligen.

Wie soll diese Veränderung aussehen?

Wir propagieren jetzt mittels einer Volksbefragung eine Umstrukturierung des ecuadorianischen Staates, des in unserem Land herrschenden Systems, um ein demokratisches System zu fördern. Wir wollen ein System, das die gleichberechtigte Teilnahme aller sozialen Sektoren des Landes garantiert: Indianer, Schwarze, Bauern, Stadtteile der unteren Schichten usw. Ein System, das durch alle entsteht und in dem alle vom gesellschaftlichen Produkt profitieren.

Was ist der genaue Inhalt der Volksbefragung?

Es geht um sechs Fragen: 1. um die Einstellung aller Verfahren gegen die Repräsentanten der CONAIE und Militärangehörige wegen der Januar-Mobilisierung; 2. um die Auflösung des Nationalkongresses und die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes; 3. um die vollständige Umgestaltung des Obersten Gerichtshofes und des Justizsystems des Landes. Dadurch sollen die Repräsentanten der traditionellen Interessen und Parteien aus dem Apparat entfernt werde, denn dort soll Gerechtigkeit gesprochen werden. Der vierte Punkt betrifft die Wirtschaft des Landes. Es geht um die Rückgabe der durch die Mahuad-Regierung eingefrorenen Gelder (1), die Dollarisierung der Wirtschaft und um die Frage, ob die Auslandschulden bezahlt werden sollen oder nicht. Im fünften Punkt schlagen wir die Modernisierung der staatlichen Unternehmen vor, anstatt sie zu privatisieren, und in der sechsten Frage geht es um die Einrichtung eines US-amerikanischen Militärstützpunktes in Ecuador. Einen Plan, den wir ablehnen. Denn er beweist, dass unser Land zwar formal eine Demokratie ist, faktisch aber von den USA beherrscht wird, was wir niemals akzeptieren werden.

Aber die Dollarisierung wurde bereits Mitte April eingeführt. Wie ist die Situation?

Die Einführung des Dollars als offizielles Zahlungsmittel treibt die Verarmung weiter voran. Die negativen Auswirkungen sind schon deutlich sichtbar: die Inflation beträgt bereits zehn Prozent monatlich und es sollen im Verlauf des Jahres über 100 Prozent werden, während die Löhne natürlich niemals so stark steigen werden. Wir haben die Regierung aufgefordert bis Juni Gegenmaßnahmen einzuleiten, ansonsten wissen wir nicht, was passieren wird, wenn die Bevölkerung wieder auf die Straße geht.

Die CONAIE befand sich in Gesprächen mit der Regierung, warum wurden diese Ende April abgebrochen?

Nach den Ereignissen vom Januar haben wir im Februar erste Gespräche mit der Regierung geführt. Es ging einerseits um die indianischen Völker Ecuadors und andererseits um politische, soziale und wirtschaftliche Themen, die das Land betreffen. Die Regierung hat sich aber geweigert, über Privatisierungen, Dollarisierung und Auslandschulden zu reden, und es vorgezogen, nur über die indianischen Völker zu reden. Wir hatten vor zu Abkommen zu gelangen, um in den armen Gemeinden Häuser, Schulen, einige Straßen usw. zu bauen und Schulmaterialien in den indianischen Sprachen zu erarbeiten. Die Gespräche dauerten Wochen und die Regierung hat ständig irgendwelche Rechtfertigungen gesucht, um uns mit einigen Krümeln abzuspeisen, damit konnten wir uns nicht zufrieden geben.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben die Verhandlungen abgebrochen, um die Organisierung der Basis weiter zu verstärken, um im Juni, spätestens Juli, wieder mit aller Kraft auf den Veränderungen beharren zu können, die das Land braucht. Wie sich das entwickeln wird, kann ich jetzt noch nicht sagen, aber wir kämpfen natürlich um zu siegen. Wir bereiten uns darauf vor, eine gerechte und interkulturelle Gesellschaft aufzubauen, die die vorhandenen Ressourcen vernünftig und ausgewogen nutzt. Wir hoffen, es gelingt uns, ein Beispiel für Amerika und die Welt zu werden.

Anmerkung:
1) Die Mahuad-Regierung hatte Anfang März 1999 die Ersparnisse der Bevölkerung bei allen Banken eingefroren. Wenige Tage vor dem Aufstand gab die Regierung, entgegen einer Entscheidung des Verfassungsgerichts, bekannt, dass die eingefrorenen Ersparnisse nun doch nicht zurückgegeben werden können.