Interview mit Calixto Anapa P. - leitendem Vertreter der Konföderation indianischer Nationalitäten Ecuadors (CONAIE)

Ein Aufstand, ein geplanter Putsch, ein verdeckter Putsch und ein neuer Präsident

Dario Azzellini sprach mit Calixto Anapa P. - leitendem Vertreter der Konföderation indianischer Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) und bis Anfang April Mitglied der mit der Regierung verhandelnden CONAIE-Kommission - über die Protestbewegung, die Situation im Land und die Perspektiven.

Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht die Ereignisse vom Januar?

Die Mobilisierung im Januar diente in erster Linie dazu, das Kräfteverhältnis zu messen zwischen einerseits der traditionellen politischen und ökonomischen Macht der ecuatorianischen Rechten, die von den imperialistischen Kräften unterstützt wird, und andererseits den alternativen Kräften der indianischen Völker und sozialen Bewegungen Ecuadors. Wir wollten sehen, wie die Sektoren der Rechten darauf reagieren. Wir mussten schließlich zurückweichen angesichts des Umschwungs der Streitkräfte, die unsere Initiative anfänglich unterstützt hatten. Aus strategischen Gründen entschlossen wir uns dann, das Parlament zu verlassen und uns aus der "Provisorischen Junta der Nationalen Rettung" zurück zu ziehen. Wir bleiben aber dabei, dass die Organisierung und der Kampf um Alternativen möglich ist: Durch den landesweiten Kampf der Massen und gut organisierter Sektoren ist es möglich, Strukturen vollständig zu verändern. Wir standen vor der Möglichkeit, die gesamten Strukturen, Exekutive, Legislative, Judikative und aller Institutionen aufzulösen.

Es war aber eine etwas überstürzte Situation, wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so leicht sein würde. Als wir die Macht plötzlich in den Händen hielten, wurde uns bewusst, dass es viel zu tun gibt und wir beschlossen, auf allen Ebenen damit anzufangen.

Die Unterstützung eines linken Aufstandes seitens der Armee klingt ja recht ungewöhnlich. Was ist der Hintergrund und welche Sektoren des Militärs unterstützen die Aufstandsbewegung?

In der Tat klingt das für die meisten Länder der Welt widersinnig. Hier in Ecuador besteht jedoch die besondere Situation, dass viele Militärs für soziale Aufgaben eingesetzt werden und sich so ein Kontakt zwischen unteren Dienstgraden und den Menschen in den Gemeinden und armen Stadtteilen ergeben hat, in denen diese Militärs arbeiten. Die meisten sind sich also im klaren darüber, was die Basisorganisationen wollen, sie wissen wie eine Alternative aussehen kann und dass sie möglich ist. Die Verfolgung der im Januar direkt am Aufstand Beteiligten hat eine weitere Spaltung in der Armee hervorgebracht und wir kämpfen dafür, dass die Militärs, die mit Basisbewegungen in Kontakt stehen, weiterhin für die Veränderung arbeiten können.

Die Streitkräfte sind also auch weiterhin ein Bündnispartner?

Wir glauben an eine friedliche Revolution, die Einheit und die Notwendigkeit der Beteiligung aller gesellschaftlicher Sektoren. Doch auch wenn wir einen friedlichen Weg propagieren, ist es von strategischer Bedeutung, gewisse Abkommen mit Mitgliedern der Streitkräfte zu schließen, die den Prozess der Veränderung bedingungslos unterstützen und sich bewusst daran beteiligen.

Wie sieht die angestrebte Veränderung aus?

Wir propagieren jetzt mittels einer Volksbefragung eine Umstrukturierung des ecuatorianischen Staates, des in unserem Land herrschenden Systems, um ein demokratisches System zu befördern. Wir wollen ein System, das die gleichberechtigte Teilnahme aller Sektoren des Landes garantiert: Indianer, Schwarze, Bauern, Stadtteile der unteren Schichten usw., ein System, das durch alle entsteht und in dem alle vom gesellschaftlichen Produkt profitieren.

Was ist der genaue Inhalt der Volksbefragung?

Es geht um sechs Punkte: 1. um die Einstellung aller Verfahren gegen die Repräsentanten der CONAIE und Militärangehörige wegen der Januar-Mobilisierung; 2. um die Auflösung des Nationalkongresses und die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes; 3. um die vollständige Umgestaltung des Obersten Gerichtshofes und des Justizsystems des Landes, wodurch die Repräsentanten der traditionellen Interessen und Parteien aus dem Apparat entfernt werden sollen; 4. um die Rückgabe der durch die Mahuad-Regierung eingefrorenen Gelder, die Dollarisierung der Wirtschaft und um die Frage, ob die Auslandschulden bezahlt werden sollen oder nicht; der fünfte Punkt betrifft den Vorschlag der Modernisierung der staatlichen Unternehmen statt deren Privatisierung und die sechste Frage dreht sich um die Einrichtung eines us-amerikanischen Militärstützpunktes in Ecuador, ein Plan, den wir ablehnen, auch weil er beweist, dass unser Land zwar formal eine Demokratie ist, faktisch aber von den USA beherrscht wird, und das können und werden wir niemals akzeptieren.

Die CONAIE befand sich in Gesprächen mit der Regierung, warum wurden diese Ende April abgebrochen?

Nach den Ereignissen vom Januar haben wir im Februar erste Gespräche mit der Regierung geführt. Es ging einerseits um die indianischen Völker Ecuadors und andererseits um politische, soziale und wirtschaftliche Themen, die das Land betreffen. Die Regierung hat sich aber geweigert, über Privatisierungen, Dollarisierung und Auslandschulden zu verhandeln und es vorgezogen, nur über die Situation der indianischen Völker zu sprechen. Wir hatten vor, zu Abkommen zu gelangen, um in den armen Gemeinden Häuser, Schulen, einige Straßen usw. bauen zu lassen und Schulmaterialien in den indianischen Sprachen zu erarbeiten. Die Gespräche dauerten Wochen und die Regierung hat ständig nach irgendwelchen Rechtfertigungen gesucht, um uns mit einigen Krümeln abzuspeisen - damit konnten wir uns nicht zufrieden geben.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir haben die Verhandlungen abgebrochen, um die Organisierung der Basis weiter zu verstärken und so im Juni, spätestens Juli, wieder mit aller Kraft auf den Veränderungen zu beharren, die das Land braucht. Wie sich das entwickeln wird, kann ich jetzt noch nicht sagen, aber wir kämpfen natürlich, um zu siegen. Wir bereiten uns darauf vor, eine gerechte und interkulturelle Gesellschaft aufzubauen, die die vorhandenen Ressourcen vernünftig und ausgewogen nutzt. Vielleicht gelingt es uns, ein Beispiel für Amerika und die Welt zu werden, das bleibt zu hoffen.