Opposition und politische Organisationen protestieren gegen »Nationalen Pakt«

Boliviens Gewerkschaft ruft zum Streik auf

Der bolivianische Gewerkschaftsdachverband COB rief für heute zu einem auf 48 Stunden befristeten Generalstreik auf. Gefordert wird die Nationalisierung der Gasvorkommen.

Die Vorbereitungen für den Generalstreik laufen auf Hochtouren. Der Gewerkschaftsdachverband Boliviens (COB) hatte sich Freitagnacht für die Ausrufung des zweitägigen Streiks, der am heutigen Dienstag beginnen soll, entschieden. Zuvor hatte der COB gemeinsam mit der von Evo Morales geführten Partei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) und anderen politischen Organisationen die Bildung einer »Anti-oligarchischen Volksfront« beschlossen.

Der Konflikt entzündete sich am Vorhaben des Präsidenten Carlos Mesa, ein neues Brennstoffgesetz zu verabschieden. Nach diesem sollen die transnationalen Gaskonzerne 18 Prozent Abgaben auf die Gaserlöse zahlen. Die MAS, die COB die Nachbarschaftsvereine von El Alto, die Indígena-Bewegung Pachutik unter der Führung von Felipe Quispe und weitere Bewegungen fordern 50 Prozent Abgaben und eine staatliche Rohstoffkontrolle.

Bereits seit Montag vergangener Woche blockieren verschiedene Bauernorganisationen und Anhänger der MAS wichtige Verbindungsstraßen des Landes. Am Wochenende gönnten die Blockierer der Regierung eine Atempause und hoben zahlreichen Straßenblockaden auf. Nur die zentrale Region um Cochabamba blieb unpassierbar. Präsident Carlos Mesa kündigte ein juristisches Eingreifen an und versuchte außerdem am vergangenen Donnerstag, seine Anhänger zu mobilisieren. Doch das Echo blieb gering; kaum jemand ging für den Präsidenten auf die Straße. Auf der Kundgebung in La Paz von 300 Mesa-Anhängern kam es schnell zu einer rassistischen Stimmung und die Demonstranten forderten »hängt die Indios« und skandierten »Die Stinkfüße müssen weg«.

Morales kündigte bereits an, weder die MAS noch andere Bewegungen würden an einer von Menschenrechtsorganisationen einberufenen »Sozialkonferenz« mit Beteiligung der Regierung und Parlamentsabgeordneten teilnehmen, sollte die Regierung versuchen, die Blockaden militärisch zu räumen.

Mesa hatte bis Ende Februar teilweise mit Unterstützung der MAS regiert. Zum politischen Bruch war es gekommen, als der bolivianische Präsident auf den Vergünstigungen für transnationale Energiekonzerne beharrte. Nach einer Woche heftiger Proteste hatte Mesa am 6.März seinen Rücktritt angekündigt und ein Horrorszenario entworfen, sollte den Wünschen der Konzerne nicht Folge geleistet werden. Tatsächlich handelte es sich bei der Ankündigung um ein geschicktes Manöver der extrem schwachen Regierung, die nicht die volle Unterstützung der bürgerlichen und rechten parlamentarischen Kräfte genoss und sich stetig wachsenden sozialen Bewegungen gegenüber sieht. Der Rücktritt des Präsidenten muss in Bolivien vom Parlament bestätigt werden. Das Rücktrittsangebot und das entworfene Szenario zeigten Wirkung: Innerhalb von 48 Stunden einigten sich die bürgerlichen und rechten Parteien MIR, NFR und MNR auf einen »nationalen Pakt« zum Verbleib Mesas im Amt und stimmten gegen seinen Rücktritt. Entscheidend für das Schließen der Reihen um Mesa dürfte wohl die Angst vor den protestierenden Massen gewesen sein. Diese hatten vor einem Jahr auch Mesas Vorgänger, Gonzalo Sánchez de Lozada, aus dem Amt gejagt.

Teil des Paktes ist auch die rasche Verabschiedung eines Gesetzes über die Ausbeutung fossiler Brennstoffe. Mesa, der sich in seiner bisherigen Präsidentschaft im Schlingerkurs über mehrere Krisen gerettet hat, schlug sich damit auf die Seite der neoliberal orientierten nationalen Eliten. Der Gesetzesvorschlag missachtet laut Evo Morales das Ergebnis einer Volksabstimmung, die erst vor wenigen Monaten unter Mesas Präsidentschaft abgehalten wurde.

Darüber hinaus wurden im »Nationalen Pakt« die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung vereinbart sowie die Möglichkeit, mehr regionale Autonomie einzuführen. Trotzdem könnte Mesa schnell das gleiche Schicksal wie seinem Vorgänger blühen, wenn sich die Proteste wieder in eine Revolte verwandeln. So drohten am Samstag die Nachbarschaftsvereine von El Alto, der drittgrößten Stadt Boliviens, sie würden nach La Paz marschieren, um das »wenig repräsentative und korrupte Parlament zu schließen«. Auf Grund des planlosen und ungesteuertem Zuzugs verarmter Landbevölkerung ist in dieser Metropole der Anteil sozial Marginalisierter besonders hoch. Doch vor dem Marsch ist Generalstreik.