Sicherheitskräfte und Paramilitärs eskalieren den Bürgerkrieg in Kolumbien. Die Guerillaorganisation ELN bricht die Gespräche mit der Regierung in Bogotá ab

Mit Herbizid und Kettensägen

Nach einem ausgedehnten Massaker der Paramilitärs mit etwa 40 Toten hat die kolumbianische Nationale Befreiungsarmee ELN am vergangenen Donnerstag die Einstellung der Gespräche mit der Regierung verkündet. Comandante Pablo Beltrán, Mitglied des Zentralkommandos (Coce) der ELN und dritthöchster Vertreter der Guerilla, verlas am frühen Morgen ein Kommuniqué im Radio, in dem der Regierung vorgeworfen wurde, keinen Willen zur Bekämpfung der Paramilitärs und ihrer Allianz mit dem Militär zu besitzen. Zudem habe die Regierung Vereinbarungen über Sicherheitsgarantien für das Coce und die Zusage, Besprühungen aus der Luft mit dem Herbizid Glyfosat einzustellen, nicht eingehalten.

Das vom Chemiekonzern Monsanto unter dem Markennamen Round-up vertriebene Herbizid Glyfosat führt zu schweren gesundheitlichen Schäden bei der Bevölkerung der betroffenen Gebiete und zur Vernichtung jeglicher Anbaupflanzen. Das ist durchaus beabsichtigt, denn das Sprühen dient - wie in Vietnam - der militärischen Aufstandsbekämpfung. Zwar hatte Präsident Andres Pastrana unlängst der ELN zugesagt, den Einsatz von Glyfosat zu beenden; dennoch wird es weiter versprüht, und die entsprechenden Polizeieinheiten verkündeten, sie hätten nie eine anders lautende Anweisung erhalten.

"Die Feinde des Friedens widersetzen sich den Veränderungen. Die wiederholten Wortbrüche der Regierung zeugen vom fehlenden Willen, Gespräche mit der ELN aufzunehmen, und aus diesem Grund sehen wir uns gezwungen, eine unbefristete Aufhebung der Gespräche zu erklären", kommentierte Beltrán die Entscheidung der zweitgrößten Guerilla des Landes, die zwischen 6 000 und 8 000 Leute unter Waffen haben soll. Zugleich verkündete die Guerilla, die Kontakte mit den Sektoren der Gesellschaft, die den Friedens-prozess begleitet haben, weiter aufrecht zu erhalten.

In den geplanten Gesprächen der ELN steht die Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Kräften im Vordergrund. Die ELN versucht seit etwa zwei Jahren, eine entmilitarisierte Zone von mehreren Tausend Quadratkilometern in der Nähe der Stadt Barrancabermeja im Süden der Region Bolivar zu etablieren, um dort eine "Nationalkonvention" abzuhalten. Die Konvention sollte zu fünf verschiedenen Themenkomplexen jeweils eine Woche lang tagen und in Arbeits- und Diskussionsforen die Möglichkeit bieten, die Vorstellungen der Guerilla zu präsentieren und über gesellschaftliche Alternativen zu debattieren.

An jeder Konvention sollten 300 Delegierte aller gesellschaftlichen Kräfte teilnehmen: Gewerkschafter, Vertreter der Bauernverbände - auch der regierungsnahen -, der schwarzen Communities und der Indigenas, alle politischen Parteien, Vertreter der verschiedenen sozialen Bewegungen, der Exilierten u.a. Bereits vor einem Jahr hatte die Regierung nach einer umfassenden militärischen und politischen Offensive der ELN die Errichtung der Zone zugesagt, doch seitdem immer wieder hinausgezögert. Zuletzt einigten sich ELN und Regierung sogar auf ein 88 Punkte umfassendes Regelwerk über die Verfahrensweisen in dem zu entmilitarisierenden Gebiet, in dem die ELN seit über 30 Jahren fest verankert ist.

Doch vergangene Woche machte die Regierung erneut den Vorschlag, die ELN möge ihre Konvention im Ausland organisieren. Comandante Beltrán erklärte, wenn es nicht möglich sei, eine solche Konvention in Kolumbien durchzuführen, dann bestünden auch keine Voraussetzungen für einen Frieden. Die Nationalkonvention müsse wie vereinbart im Süden Bolivars stattfinden, dazu gebe es keine Alternative, weder im In- noch im Ausland.

Die Regierung ließ ihren Absichtserklärungen und Friedensbekenntnissen keine Taten folgen. Bereits im vergangenen Jahr hatten die Paramilitärs eine Offensive in dem zu entmilitarisierenden Gebiet begonnen, gleichzeitig mit Protesten und Straßenblockaden der Para-Vorfeldorganisation Asocipaz; dabei wurden Bewohner des Gebietes unter Morddrohungen dazu gezwungen, an Blockadeaktionen gegen die Entmilitarisierung teilzunehmen. Asocipaz versucht, sich als eine von den Paramilitärs unabhängige Organisation darzustellen. Aber kürzlich kamen direkte Weisungen von Para-Kommandeuren an Repräsentanten der Asocipaz an die Öffentlichkeit; mittlerweile bezeichnet sogar der Verhandlungsbeauftragte der Regierung Asocipaz als paramilitärische Organisation.

Anfang Februar begann auch die kolumbianische Armee mit einer Offensive in der Region unter dem Namen "Operation Bolivar". Mit direkter Unterstützung der kolumbianischen Armee wurden über 1 000 Paramilitärs in das traditionell von der ELN kontrollierte Gebiet verlegt, die dort Hunderte von Menschen ermordeten. Zwar gelang es der ELN, mit militärischen Schlägen mehrere Paramilitärcamps aufzulösen, diese wurden jedoch von der Armee zurückerobert und als zerschlagene ELN-Basen der Öffentlichkeit vorgeführt.

Kurz vor Ostern übergab die ELN der Regierung umfassende Beweise für eine Allianz zwischen Paramilitärs und Armeeangehörigen im Süden Bolivars. So hatte die Armee im Interesse der Paramilitärs den Luftraum überwacht, um ihnen nach verlustreichen Kämpfen den Abtransport ihrer Verletzten und den Rückzug ihrer Verbände zu ermöglichen. Selbst die Uno-Menschenrechtskommission verurteilte zum wiederholten Male den kolumbianischen Staat, da er nicht in der Lage sei, seinen Einwohnern minimale Garantien zu geben und nicht ausreichend gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehe.

Um auf die Massaker der Paramilitärs und die mörderische Politik des Erdölförderunternehmens Occidental Petroleum Corp., auch als Oxy bekannt, aufmerksam zu machen, entführte die ELN am Ostermontag 98 seiner Angestellten. 64 einfache Arbeiter wurden sofort wieder freigelassen; 34 Personen wurden hingegen einige Tage gefangen gehalten, um auf die Unterstützung von Paramilitärs durch das Unternehmen hinzuweisen, und anschließend ohne Lösegeldzahlung wieder frei gegeben.
Occidental ist ein von Shell und dem staatlichen kolumbianischen Erdölunternehmen Ecopetrol gegründetes Konsortium, das seit 1992 Ländereien der U'wa-Indígenas in Nordostkolumbien für die Ausbeutung von Rohölvorkommen beansprucht. Die U'wa verweigerten den Bohrungen von Beginn an ihre Zustimmung. Doch obwohl sie auch vor dem Verfassungsgericht Recht bekamen, hielten Oxy und Shell weiter an ihren Plänen fest und denunzierten die Indígenas als ELN-Unterstützer, während Paramilitärs versuchten, sie aus ihren Gebieten zu vertreiben.

Anlässlich der Freilassung der entführten Oxy-Mitarbeiter stellte die ELN drei Bedingungen für die Wiederaufnahme der Gespräche: die Entschädigung der vom Herbizideinsatz betroffenen Bauern; ein entschiedenes Vorgehen der Regierung gegen den Paramilitarismus und schließlich die Festsetzung eines Termins für die Nationalkonvention und die Entmilitarisierung des Gebietes. Ansonsten werde man die Amtsübernahme des nächsten kolumbianischen Präsidenten im August 2002 abwarten, um die Möglichkeiten für ernsthafte Verhandlungen zu sondieren.

Die Regierung sorgt sich indes um ein Bündnis, das die Farc - die größte kolumbianische Guerilla - und die ELN geschlossen haben. In der Öffentlichkeit wurde es als "Ausdruck mangelnden Friedenswillens" charakterisiert; in Wirklichkeit besteht der Zweck der Allianz in der Bekämpfung der paramilitärischen Verbände. Das Bündnis kam in einigen Regionen Kolumbiens zustande, die besonders schwer vom Paramilitarismus betroffen sind, so beispielsweise im Gebiet Alto de Naya zwischen den Departements Cauca und Valle. Dort hatten Einheiten der landesweit als Vereinte Selbstverteidigung Kolumbiens (AUC) operierenden Paras vom 11. bis 13. April nach offiziellen Schätzungen etwa 40 Bauern - teilweise mit Motorsägen - massakriert, die sie der Zusammenarbeit mit der Guerilla beschuldigten.

Indes rufen die Internationale Menschenrechtsorganisation Fian (Food First Informations- & Aktions-Netzwerk) und andere Gruppen dazu auf, den Besuch des kolumbianischen Präsidenten Andres Pastrana am 26. und 27. April in Berlin für Proteste gegen die Politik seiner Regierung zu nutzen.


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