Rezension/211: Azzellini & Kanzleiter, Hg. - Das Unternehmen Krieg (SB), Schattenblick, 2004

Schattenblick, 2004

Das Unternehmen Krieg

Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen
als Akteure der Neuen Kriegsordnung

Gut ein Jahr nach seinem Erscheinen hat der von Dario Azzellini und Boris Kanzleiter herausgegebene Sammelband "Das Unternehmen Krieg - Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der Neuen Kriegsordnung" nichts von seiner Aktualität und Bedeutung eingebüßt. Im Gegenteil, straft doch die sturzbachartig hereinbrechende Enthüllungsflut des Folterszenarios in Irak, Afghanistan und Guantanamo Bay alle Annahmen Lügen, irreguläre Kriegsführung sei ein Phänomen von Chaos und Verfall an der Peripherie der Einflußsphäre weltordnender Kräfte. Wenn an der Speerspitze internationaler Hochrüstung und geballter Militärmacht allenthalben privatisierte Komponenten des Kriegshandwerks im Einsatz sind, um an prominenten Schnittstellen und in allen erdenklichen Funktionen ihr skrupelloses und blutiges Handwerk zu verrichten, belegt dies eine zentrale Aussage der Autoren. Sie verwahren sich zu Recht gegen die Interpretation der "Neuen Kriege" als Symptom von "Staatszerfall", "Chaos" und "Anarchie", die Ausdruck eines Verlusts des Gewaltmonopols "gescheiterter Staaten" seien, dem der Westen mehr oder weniger hilflos gegenüberstehe.

Anhand markanter Beispiele dokumentieren die Beiträge dieses Buches die bedeutsamsten inhaltlichen und regionalen Spielarten des von ihnen unter die Lupe genommenen Phänomens, wobei sie weder dessen Variantenreichtum unzulässig über einen Kamm scheren, noch eine Klassifizierung und Hierarchisierung scheuen, aus der sich eine plausible und markante eigene Positionierung entwickeln läßt. Aufgrund dieser ebenso sorgsamen wie kompetenten Vorgehensweise formiert sich das Mosaik auf den ersten Blick höchst unterschiedlicher Erscheinungsbilder Schritt für Schritt zu einem Gesamtkomplex von vernichtender Gewalt, dessen Strukturen, Verläufe und Urheber immer deutlicher Kontur gewinnen.

Erfreulicherweise lassen die Autoren reichhaltige Fakten und engagierte Analysen für sich sprechen, ohne den Leser mit Spekulationen hinsichtlich eines immanenten Geheimkomplexes steuernder Einflußnahme zu bedrängen. Gerade die nüchterne Präsentation sorgsam recherchierter Details und deren Verknüpfung mit fundierten Erkenntnissen politischer und ökonomischer Theoriebildung läßt die Motive und Konsequenzen der "Neuen Kriege" furchterregender als jede Verschwörungstheorie hervortreten.

Zugleich wird unmißverständlich deutlich, daß man es hierbei nicht mit einer randläufigen Erscheinung zu tun hat, die im Konzert weltherrschaftlicher Ambitionen allenfalls für leise und entbehrliche Töne zuständig wäre. Vielmehr wird das Feld unablässigen Drangsalierens und Schlachtens in wachsendem Maße von Agenten besetzt, die außerhalb regulärer Polizei- und Streitkräfte operieren und doch nicht selten aufs Engste mit ihnen zusammenarbeiten. Das legt die Frage nach den konstituierenden Elementen und Verläufen der aktuellen Phase weltherrschaftlicher Ambitionen nahe, die allenthalben ihre Opfer zerlegen und ausbluten lassen.

Nationalstaatliche Autonomie und Souveränität haben als allgemein vorherrschendes und verbindliches Prinzip ausgedient, wobei die stärksten Mächte unter Führung der USA durchaus für sich reklamieren, was sie andern im selben Atemzug absprechen. Längst sind die Vereinigten Staaten und westeuropäischen Industrieländer dazu übergegangen, ihre nationale Sicherheit weltweit für bedroht zu erklären und daraus ein Recht auf Intervention an jedem beliebigen Ort abzuleiten. Angriffskriege unter selbstproduzierten Vorwänden sind heute die Regel und werden als Verteidigung gegen sogenannte "Schurkenstaaten" und "Terroristen" legitimiert. Was vormals Außenpolitik war, wird nun als weltweite Innenpolitik exekutiert, so daß Kriegsführung immer mehr als weltpolizeiliche Intervention daherkommt. Daraus läßt sich ableiten, daß reguläre Armeen zwar nicht ausgedient haben, jedoch zu schnellen Eingreiftruppen umfunktioniert und insbesondere um permanente irreguläre Übergriffe im Sinne der Neuen Kriegsordnung ergänzt werden, die unablässig an Bedeutung gewinnt.

Wie die Autoren detailliert darlegen, werden im Zuge dieser Umgestaltung immer größere Teile und weitreichendere Funktionen regulärer Armeen auf private Sicherheitsunternehmen übertragen, die längst nicht mehr auf Logistik, Ausbildung und flankierende Dienste beschränkt sind, sondern nicht selten selbst in die Kampfhandlungen eingreifen. Berücksichtigt man zudem, daß beispielsweise Marktführer DynCorp die Sammlung, Verarbeitung und Speicherung von Daten des militärischen und geheimdienstlichen Komplexes bündelt, erwächst daraus ein Monopolist all jener Informationen, die der Kontrolle innerstaatlicher wie weltweiter Ausbeutungs- und Unterdrückungsinteressen dienen.

Im Zuge global schwindender Ressourcen, die weniger denn je für alle Menschen ausreichen, steht die Frage künftigen Überlebens für die strategischen Planer seit langem auf der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang stellt die vielzitierte Sicherung fossiler Brennstoffe, die als "Krieg ums Öl" ein konsensfähiges Erklärungsmuster fabrizieren soll, geradezu ein Verschleierungsmanöver dar. Es mangelt an Nahrung, Wasser und Atemluft, wie das millionenfache Sterben in den Armutsregionen dokumentiert. Überdies entwirft das Gros der Prognosen ein Schreckensszenario hereinbrechenden Klimawandels und verheerender Naturkatastrophen, die den unumkehrbaren Verbrauch aller lebensnotwendigen Stoffe und Mittel dramatisch forcieren. Wer immer daher über die waffengestützte Gewalt verfügt, sich den schwindenden Rest anzueignen und die Verfügung darüber durch Ausschluß anderer zu sichern, erklärt dies zur absoluten Priorität seines Zukunftsentwurfs.

Aus diesem Streben resultiert eine ganze Palette ökonomischer, politischer und militärischer Konsequenzen, deren Folge eine nie mehr verlöschende Kriegsfackel ist. In allen erdenklichen Erscheinungsformen werden Menschen auf Menschen gehetzt, ob dies nun mittelbar durch aufgezwungenes Elend, latent durch alltägliche Bedrohung oder in offen ausbrechenden Kampfhandlungen geschieht. Dabei zeichnet sich die Neue Kriegsordnung durch eine weitreichende Präsenz und tiefgreifende Durchdringung auch jener Sphären und Regionen aus, die klassische Armeen nur bedingt oder gar nicht erreichen. Wo beständige Drangsalierung, insgeheime Folter und Qual, Infiltration und nicht zuletzt ein Blutzoll unter Statthaltern und Handlangern gefragt ist, erzielen irreguläre Dienstleister, Söldner, lokale Kriegsherrn, Milizen, Paramilitärs und andere Mörder, Folterer und Experten der Einschüchterung, Vertreibung oder Eliminierung oftmals wirksamer die erwünschten Resultate als offizielle Streitkräfte.

In der gegenwärtigen Phase strategischer Durchsetzung einer neuen Weltordnung gehen die dominierenden Kräfte und Komplexe mit innovativer Wirkgewalt und beispielloser Dynamik zu Werke, die zwangsläufig Gefahr läuft, den Bogen zu überspannen und ein Aufbegehren ihrer Opfer zu provozieren. Nicht nur reale, sondern insbesondere potentielle Gegnerschaft unwiderruflich auszuschalten, indem man Staaten überfällt und spaltet, Bevölkerungsgruppen verfolgt, organisierten Widerstand ausrottet und Einzelpersonen liquidiert, ist ein komplexes Vorhaben, das Elend und Verzweiflung von unabsehbarem Ausmaß schafft. Dieses zu forcieren und zugleich zu verwalten ist eine Aufgabe, die sogar über Ausgrenzung und Lagerhaltung, Massaker und Vertreibung, Bomben, Granaten und Minen hinausgeht.

So gilt es im Dienst der Etablierung eines weltweiten Regimes der letztendlichen Vernutzung des Menschen auch dessen Bewußtsein zu einem Instrument der Fügsamkeit zurechtzubiegen, damit ihm Widerspruch und Aufbegehren nicht nur fürs erste vergehen, sondern dauerhaft nicht mehr in den Sinn kommen. Während Propaganda im klassischen Sinn noch als solche erkenntlich war, sobald das Trommelfeuer der Beeinflussung nachließ oder die äußeren Umstände Zweifel am verkündigten großen Ziel wachriefen, strebt die finale administrative Weltordnung eine Denkkontrolle an, die widerstreitende Auffassungen buchstäblich undenkbar macht.

Söldnertum, Finanzierung regionaler Konfliktparteien, Attentate auf unerwünschte Politiker und Staatsführer, Ausbildung der Militärs für Diktaturen oder blutige Beförderung von Konzerninteressen wurden seit jeher zumeist im Geheimen betrieben, da man weder in den betroffenen Ländern noch unter der heimischen Bevölkerung in den Metropolen Unruhe angesichts dieser Operationen schüren wollte. Neoliberales Wirtschaften, "Anti-Drogen-Krieg" und schließlich der Kampf gegen den sogenannten "Terror" setzten in einander flankierenden und auseinander hervorgehenden Etappen Prozesse frei, die zahlreiche Bastionen des Strebens nach Souveränität, Autonomie und persönlicher Freiheit, wie sie dem zuvor dominierenden Stand der gesellschaftlichen Verhältnisse entsprachen, zu schleifen begannen.

Während US-amerikanische Geheimdienste früher zumeist im Verborgenen arbeiteten, um beispielsweise in Lateinamerika Diktaturen zu etablieren, oder die Tätigkeit der berüchtigten "School of the Americas" zur Ausbildung von Folterknechten naturgemäß nicht an die große Glocke gehängt wurde, schuf die Vorstellung, daß man "vernünftiges Wirtschaften" Entwicklungs- und Schwellenländern mit Strenge beibringen, den internationalen Drogenhandel auch länderübergreifend verfolgen und die "Terrorgefahr" präventiv bekämpfen müsse, nicht nur weitreichende Handlungsvorwände, sondern zugleich auch neue Denkweisen, die derartige Formen der Herrschaftsausübung als unverzichtbar und unhinterfragbar akzeptieren.

Es sind nicht allein die auf milliardenschwere Rüstungsetats gestützten haushoch überlegenen Waffenpotentiale, die alle tatsächlichen oder mutmaßlichen Widerstände mit Brachialgewalt niederbomben, sondern zugleich auch die über Jahrzehnte herangezüchteten Denkweisen, die heute einen US-Präsidenten weitgehend unwidersprochen über den Kampf gegen "böse Männer" schwadronieren lassen. Man mag ihn beschränkter intellektueller Kapazitäten bezichtigen oder zum erzkonservativen Fanatiker erklären und muß doch mit Entsetzen einräumen, daß seine Attacken gegen "das Böse in der Welt" mit einer öffentlichen Meinung in den Metropolen korrespondiert, die das Konstrukt des verworfenen Wesens in Gestalt des "Terroristen" längst geschluckt hat. Sich auf die Seite des Guten zu schlagen, ist dann die ultimative Bankrotterklärung kritischen Geistes, der vordem gesellschaftliche Widersprüche und globale Konflikte zu analysieren verstand.

Das konventionelle Erklärungsmodell der neuen Kriege, das die Autoren mit ebenso stichhaltigen wie aufklärenden Verweisen und Verknüpfungen widerlegen, jongliert mit Konzepten sogenannter ethnischer, religiös motivierter oder sonstwie traditionell verwurzelter Konflikte, die angesichts mangelnder staatlicher Ordnung und deren exekutiver Gewalt in Blutorgien ausarten. Doch so wenig man bestreiten kann, daß an den Rand des Überlebens getriebene Menschen und Völkerschaften übereinander herfallen und einander abschlachten, sollte man sich der drängenden Frage verweigern, woher diese Not rührt, wer von ihr profitiert und wer sie folglich strategisch und nicht selten auch praktisch vor Ort herbeiführt.

Natürlich bedarf es dabei keiner allumfassenden zentralen Steuerung bis ins Detail, so daß lokale Machthaber und Milizen vielerorts ihr blutiges Werk ungezügelt verrichten. Dennoch bringt beispielsweise die Frage nach der Finanzierung jahrelang betriebener angeblich rein regionaler Bürgerkriege zumeist treibende Kräfte an den Tag, die aus höherer Warte ihre ökonomischen und politischen Zwecke verfolgen. Beschäftigt man sich aber grundsätzlich mit Struktur und Verlaufsformen der Neuen Kriegsordnung, stößt man unvermeidlich auf Motive und Zielsetzungen der eigentlichen Kriegsherrn dieses permanenten Schlachtens, dessen irreguläre Agenten maßgeblich dazu beitragen, ihre Urheberschaft zu verschleiern.

Den Autoren dieses Sammelbands kommt das Verdienst zu, mehr als nur einen soliden Grundstein zur Auseinandersetzung mit dem wachsenden Komplex irregulärer Kriegsführung in ihren maßgeblichen Erscheinungsformen gelegt zu haben. Sie geben einen Fundus sachdienlicher Fakten und Aspekte samt analytischer Schlüssel an die Hand, der den interessierten Leser elektrisiert und ermutigt, dem erst bei näherer Beschäftigung Kontur gewinnenden Inferno eine Gegenposition abzuringen.


Herausgeber: Dario Azzellini und Boris Kanzleiter
Das Unternehmen Krieg
Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen
als Akteure der Neuen Kriegsordnung
Verlag Assoziation A, Berlin 2003
216 Seiten
ISBN 3-935936-17-6