"Kolumbien ist nicht El Salvador", ak, Nr. 434, 20.01.2000,

ak, Nr. 434, 20.01.2000,

... sagte kürzlich ein Sprecher der größten kolumbianischen Guerilla-Organisation FARC - "das Land ist größer und explosiver". Trotzdem könnte man sich fragen, warum die kolumbianischen Befreiungsbewegungen in ihrer jahrzehntelangen Geschichte nicht einmal in den Genuss einer kleinen europäischen Solidaritätsbewegung kamen, während für die salvadorianische Guerilla FMLN Ende der 80er Jahre in der BRD zehntausende auf die Straße gingen und selbst die taz Spendenaufrufe mit dem Titel "Waffen für El Salvador" abdruckte.

Unter anderem dieser Frage versuchen Raul Zelik und Dario Azzellini, Autoren des kürzlich erschienen Buches, "Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung", auf den Grund zu gehen. "Die kolumbianischen Guerillas gehören zu den wenigen linken Organisationen, die den Zusammenbruch des Ostblocks überstanden, ohne ihre sozialistische Programmatik aufzugeben, sie sind militärisch so stark wie kaum eine Befreiungsbewegung vor ihnen ... Wahrscheinlich gehören sie zu den wenigen linken Organisationen in der Welt, die ernsthaft über Perspektiven revolutionärer Veränderung diskutieren können". Dennoch scheinen sie vor europäischen Solibewegten pauschal für alles gerade stehen zu müssen, was über der Mystifizierung lateinamerikanischer Guerillas der 70er und 80er Jahre unkritisiert geblieben ist.

Autoritäre, ja stalinistische Strukturen, Militarismus und Waffenkult gehören noch zu den softeren Vorwürfen hiesiger Linker an die größten kolumbianischen Befreiungsbewegungen FARC und ELN. Doch auch, dass sie in mafiaähnlichen Strukturen organisiert seien, mitverantwortlich für die Eskalation der Gewalt in Kolumbien, involviert in Massaker und Vertreibung der "Zivilbevölkerung", den blühenden Drogenhandel und das Entführungsgeschäft, ist häufiger aus Menschenrechts- und Internationalismuskreisen zu hören.

Zelik/Azzellini setzen mit ihrer Analyse des "Bad-Guy-Image" der kolumbianischen Guerilla-Organisationen genau dort an, wo sich die Kritik vorgeblich linker InternationalistInnen mit dem herrschenden Diskurs über Kolumbien trifft: bei der Gewalt. Die offizielle Lesart: Paramilitärische Verbände, Drogenmafia und Guerilla liefern sich blutige Auseinandersetzungen um Territorien und Ressourcen, terrorisieren, massakrieren oder vertreiben die "Zivilbevölkerung", und der Staat mit seinen Sicherheitskräften steht "dazwischen", häufig ohnmächtig angesichts des eskalierenden bewaffneten Konflikts.

Diesem Mainstream stellen die Autoren mit dem zentralen Kapitel des Buches, "Ursachen der Gewalt", eine andere Version über die Gründe des seit fast 50 Jahren andauernden internen bewaffneten Konflikts gegenüber, der jährlich etwa 3.000 Menschen aus politischen Gründen das Leben kostet: basierend auf genauen Recherchen beleuchten sie detailliert die strukturellen (und persönlichen) Verflechtungen zwischen Regierung, kolumbianischer Oberschicht, Armee, Drogenkartellen und der Gründung paramilitärischer Verbände Anfang der 80er Jahre sowie die hinter der sogenannten nationalen Sicherheitsdoktrin stehenden wirtschaftlichen Interessen nationaler und vor allem transnationaler Unternehmen.

Am Beispiel der geostrategisch und wirtschaftlich zentralen kolumbianischen Erdölstadt Barrancabermeja werden die beispiellos brutalen Strategien zur Beseitigung jeglicher legaler sozialer Organisierungsversuche als Teil einer ausgeklügelten Aufstandsbekämpfungsstrategie entlarvt: von den USA entwickelt, von vorgeblich unabhängig agierenden Paramilitärs durchgeführt, aber letztendlich vom kolumbianischen Staat initiiert und gedeckt. So wurden zwischen 1985 und 1998 knapp 4.000 Mitglieder des sozialistischen Wahlbündnisses Union Patriotica (UP) ermordet oder sind "verschwunden". Von den 9 Millionen Bäuerinnen und Bauern sind inzwischen fast 2 Millionen auf der Flucht.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die kolumbianischen Guerillas und ihr viel kritisierter Militarismus als einzig mögliche Form sozialer Opposition. Bestimmte Formen nicht bewaffneter sozialer Opposition, wie die Kämpfe der indigenen kolumbianischen Gemeinden gegen die verheerenden ökologischen Auswirkungen der Erdöl- und Goldförderung in ihren Gebieten, bleiben in dem Buch allerdings unterbelichtet. Auch wenn der indigen-nationalistische Naturdiskurs häufig nicht gerade progressiv ist, wäre eine Auseinandersetzung über Konflikte zwischen ethnisch-sozialen Bewegungen und den "klassischen" Guerillas mehr als eine Fußnote wert gewesen. Etwas inflationär verwenden die Autoren auch den Begriff "schmutziger Krieg". Sind Aufstandsbekämpfungsprogramme "sauberer", wenn sich staatliche Sicherheitskräfte direkt dafür verantwortlich zeichnen?

Seit nunmehr einem Jahr stehen die Aufständischen im Dialog mit der kolumbianischen Regierung. FARC und ELN geht es zwar um eine politische Lösung des Konflikts, nicht aber - wie in Mittelamerika - um die Abgabe der Waffen, die Wiedereingliederung ins zivile Leben bzw. die Umwandlung in eine legale Partei, sondern um grundlegende soziale, politische und ökonomische Transformationen. (vgl. ak 433) Das Andenland befindet sich in der schwersten wirtschaftliche Rezession seit Jahrzehnten. 55 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, 20 Prozent in absolutem Elend, die Arbeitslosenrate hat die 20-Prozent-Marke überschritten. Gleichzeitig gehört Kolumbien zu den reichsten Ländern Lateinamerikas, verfügt über Erdöl, Kohle und Gold.

Auch wenn Zelik/Azzellini zu den wenigen Kolumbien-Berichterstattern gehören, die sich Mühe geben, die politischen Programme der marxistisch-leninistischen FARC und der guevaristischen ELN differenziert zu beschreiben, unterziehen sie deren militärisch-strategische Praxis einer harten Kritik. Ohne allerdings Entführungen und taktisch-militärische Fehler mit tödlichen Folgen für Unbeteiligte, wie die Ölpipeline-Anschläge der ELN, mit den menschenverachtenden Auswirkungen des privatisierten, systematischen Terrors unter staatlicher Aufsicht gleichzusetzen. Gewalt ist eben eine abstrakte Kategorie. "Der kolumbianische Konflikt hingegen kann nur gelöst werden, wenn" - und diese Position durchzieht das Buch vom Vorwort bis zum abschließenden Ausblick - "Armut und Marginalisierung beseitigt werden, die zum Entstehen der Guerillas geführt haben". Solange wird es in Kolumbien gefährlicher bleiben, "eine Gewerkschaft aufzubauen als eine Guerillaorganisation".