Politische Literatur, Deutschlandradio, 28.07.2003

Deutschlandradio, 28.07.2003

In der Sendung Politische Literatur werden jeden Montag um 19.15 Uhr Neuerscheinungen des Genres Politisches Buch vorgestellt.  In unregelmäßigen Abständen finden auch Gespräche mit Autoren statt.

Zu Zeiten der sogenannten Weltkriege war das Massenmorden noch recht überschaubar, die Akteure samt ihrer Interessenlagen waren einigermaßen bekannt, jedenfalls , wenn man sie mit heutigen Kriegen vergleicht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich meistens Armeen gegenüberstanden. Dass sie deshalb nach Kriegsrecht organisierter, gar weniger grausam gewesen sein sollten, ist allerdings ein Irrtum. Heute ist es oft für politisch interessierte Laien kaum noch durchschaubar, wer heimlich oder offen unterstützt von wem, warum und mit welchen Mitteln Krieg führt. Das ist in Afghanistan nicht anders, als im Kongo, in Liberia, in Indonesien oder in Kaschmir, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sicher ist vor allem, dass mit Kriegen viel Geld verdient wird. Dabei ist die Gestalt der Profiteure vielfältig - sie reicht von den großen Waffenproduzenten bis hin zu den kleinen Plünderern. Mit dem Unternehmen Krieg befasst sich ein neues Buch aus dem Verlag Assoziation A. Die Herausgeber Dario Azzellini und Boris Kanzleiter lassen darin die modernen Erscheinungsformen kriegerischer Gewalt von allen Seiten beleuchten.

In der Beschreibung der aktuellen Phänomene von Gewalt und Krieg hat eine Kategorie weite publizistische Verbreitung gefunden, nämlich die der 'Neuen Kriege’. Unter diese Kategorie werden unterschiedlichste Formen überwiegend innerstaatlicher Gewaltauseinandersetzungen subsumiert, die sich aus Bürger-, Guerilla-, oder sog. low-intensity-Kriegen in Regionen entwickelt haben, in denen sich das staatliche Gewaltmonopol offenbar weitestgehend aufgelöst hat, und in denen die regulären Streitkräfte nur mehr ein Akteur neben anderen sind. Zu den Erscheinungsformen dieser neuen Kriege gehören organisierte Gewalt, von der in erster Linie die Zivilbevölkerung betroffen ist, sowie Verflechtungen von Krieg und Wirtschaft, so genannte Kriegsökonomien, weil der Krieg für viele der Beteiligten zu einer Existenzgrundlage geworden ist.

Das Problematische dieser Kategorie ist freilich, dass sie zu Wahrnehmungsvereinfachungen verleitet, und das obwohl in der einschlägigen Forschung auf die Unübersichtlichkeit und Komplexität dieser neuen Formen kriegerischen Geschehens hingewiesen wird. Mit dem vorliegenden Sammelband wird versucht, eben diesem "Diskurs der neuen Kriege", wie es im Vorwort heißt, mit einer Reihe von Fallstudien zu begegnen. Sie stellen zum einen die Singularität partikulärer Konflikte heraus, machen aber auch das Musterhafte an ihnen deutlich. Allzu schnell schleift sich nämlich in der öffentlichen Diskussion ein vereinfachendes Deutungsschema ein, das dann reibungslos über die Fernsehbilder gelegt werden kann: Das Schema von den neuen, barbarischen Kriegen, die als Ergebnis zerfallener, zerfallender oder schlicht schwacher Staaten gesehen werden. Das mitschwingende Gegenbild der neuen Kriegen ist das der alten, klassischen Kriege, die dann im Gegenzug als "staatlich eingehegte" und irgendwie zivilisiertere Kriege erscheinen.

Das aber ist nicht nur historisch fragwürdig: Denn auch der 1. und 2. Weltkrieg boten Beispiele äußerster Grausamkeit gerade auch gegen die Zivilbevölkerung und das trotz ihrer 'staatlichen Einhegung’. Problematisch ist auch, dass durch solche theoretischen Konstrukte die Legitimationsgrundlagen für die Akzeptanz zukünftiger militärischer Interventionen geschaffen werden. Mit ihnen wird auch an der Zustimmung zu einem immer lauter durch die westliche, zumal die europäische Welt hallenden Wiederaufrüstungsappell gearbeitet. Die Herausgeber wollten mit diesem Band auch klarmachen, dass der Unterschied alte versus neue Kriege letztlich "in einer normativen Wendung zugleich als Unterschied zwischen "richtigen" und "falschen" Kriegen" gefasst" wird, wie sie etwas umständlich formulieren. Dass die westlichen Staaten sich eine derartige Dichotomie mehr und mehr zu eigen machen, beweisen die Erfahrungen der vergangenen Jahre.

Und noch etwas anderes ist in den jüngsten Kriegen deutlich geworden: nämlich dass man es mit dem Völkerrecht dabei längst nicht mehr so genau nimmt. Stellt irgendeiner dieser so genannten neuen Kriege eine Bedrohung der 'internationalen Sicherheit’ dar, und sei es nur im Sinne einer Unterbrechung der Ressourcenzufuhr, dann wird eben zwecks nation building, zwecks Schaffung einer staatlichen Infrastruktur und eines Gewaltmonopols militärisch interveniert. Auch die NATO hat sich ihr Statut klammheimlich schon anläßlich ihres 50-jährigen Bestehens 1999 in eben diese Richtung umgeschrieben. Und der Fall Afghanistan hat noch etwas anderes sichtbar gemacht: Sowohl die Förderung und Ausrüstung der Mudjaheddins gegen die Sowjets als auch der jüngste US-amerikanisch-britische Krieg mit Hilfe talibanfeindlicher Warlords sind sprechende Belege für die immer undurchsichtiger werdenden Verflechtungen westlicher Akteure mit den Akteuren vor Ort.

Die im vorliegenden Band versammelten Aufsätze wollen den Blick schärfen, indem sie von einer dezidiert linken, an Antonio Negris und Michael Hardts Studie 'Empire’ geschulten Perspektive ausgehen. Derzufolge ist es der seit den 70 Jahren betriebene weltweite neoliberale Systemumbau, der ganz allmählich zur Etablierung einer neuen Weltordnung führt. Eine linguistisch-politische Konstruktion übrigens von Bush-Vater, der diese neue Ordnung anläßlich des 2. Golfkriegs kurz nach dem Ende des Kalten Kriegs ausgerufen hatte. Dass eine neue Weltordnung auch eine neue Kriegsordnung impliziere, darauf wird emblematisch bereits im Untertitel des Sammelbands hingewiesen. Das bedeutet nun aber nicht, dass die Autoren die neuen Kriege, die ja zuallererst singuläre Erscheinungen sind, bloß über einen historisch-materialistisch aktualisierten Interpretationskamm scheren würden. Vielmehr wird unterschiedlichsten Vorort-Verhältnissen in Fallstudien nachgegangen und dabei auch überwiegend auf unabhängige und einheimische Informationen zurückgegriffen. Vorangeschickt ist zwar ein die politisch-theoretische Ausrichtung klärender Aufsatz, dem dann aber Untersuchungen zu Kolumbien, der Türkei, Mexiko, Guatemala, dem ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan, Indonesien, dem Kongo und Angola folgen.

Neben den aufschlussreichen Einzelbeobachtungen wird dabei auf ein interessantes neues Phänomen hingewiesen: die Privatisierung militärischer Dienstleistungen. Einer der beiden Herausgeber, Boris Kanzleiter, hat sich mit dem Boom so genannter PMCs, also Private Military Companies in einem eigenen Aufsatz beschäftigt. Darin wird US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit folgenden Worten zitiert:

Nur Funktionen, die unbedingt vom Verteidigungsministerium selbst erfüllt werden müssen, sollen dort angesiedelt bleiben.

Logistik, Transport , Versorgung, Training und Militärberatung hat die US-Armee in weiten Teilen bereits ausgelagert und an private Unternehmen vergeben. Die Privatisierung von Kampfaufträgen selbst hingegen ist noch umstritten. Erst jüngst schrieb die New York Times:

Niemand weiß genau, wie groß die geheimnisvolle Industrie ist.

Anzunehmen ist aber auch, dass deren Aufgabenprofil das ein oder andere Geheimnis birgt. Dass sich mit dem 11. September neue Märkte für die expandierende Branche aufgetan haben, ist dagegen kein Geheimnis mehr.

Der Krieg gegen den Terrorismus ist eine Vollbeschäftigung für diese Jungs.

So der Sprecher der Defense Security Cooperation Agency, einer Abteilung des US-Verteidigungsministeriums, die mit in den USA legalen privaten Militärunternehmen kooperiert. Inzwischen wird auch über die gesetzliche Regulierung von bereits entstandenen juristischen Grauzonen nachgedacht. Das jedenfalls hat der britische Außenminister Jack Straw angekündigt, denn auch in Großbritannien haben einige der weltweit führenden PMCs ihren Sitz. Dass die wachsende Auslagerung ehemals staatlicher militärischer Aufgaben die westlichen Staaten nicht nur billiger käme, sondern sich das Kriegführen auch reibungsloser gestalten würde, ist in der Tat eine beunruhigende Perspektive. Einer verdeckten außenpolitischen Einflußnahme, aber auch einer Umgehung öffentlicher Kontrolle sowie völkerrechtlicher Regulierungen würde damit die Tür geöffnet. Es lassen sich bereits Beispiele anführen, die in diese Richtung weisen. So etwa der von Kanzleiter zitierte Fall des weltweit operierenden US-amerikanischen Unternehmens Military Professional Resources Incorportated, kurz MPRI, das von ehemaligen US-amerikanischen Führungskräften aus dem Militär- und Geheimdienstsektor in den späten 80er Jahren gegründet wurde. In den 90er Jahren war MPRI maßgeblich an Training und Beratung der damals neu formierten kroatischen Armee beteiligt. Heute wird deren Operation gegen die Serbische Republik Krajina samt nachfolgender ethnischer Säuberung in Den Haag verhandelt, und es ist kein Geheimnis mehr, dass die Planung des kroatischen Rückeroberungsfeldzugs, was sein strategisches Design betrifft, US-amerikanische Züge trägt.

Die hier versammelten Untersuchungen zeigen an Beispielen buchstäblich aus aller Welt, dass die Trennung zwischen staatlicher und privater Gewaltausübung, zwischen militärischen und ökonomischen Interessen, zwischen organisierter Kriminalität und dem Weltmarkt, zwischen 1. und 3. Welt und zu guter Letzt und ganz zentral eben die Unterscheidung zwischen Krieg und Normalzustand immer poröser wird. Es war auch die Absicht der Herausgeber, die in der Linken vertretene These vom Ausnahmezustand als herrschendem Paradigma gegenwärtigen Regierens empirisch zu unterfüttern. Ob diese Annahme theoretisch haltbar ist, sei dahingestellt; in Zeiten, wo präventives Kriegführen zur offiziellen US-amerikanischen Sicherheitsdoktrin geworden ist, lohnt es sich allerdings, gründlich über sie nachzudenken.